Orf

21.02.2004

100 Klagen gegen Gletscherbahn

Nach den Freisprüchen in der ersten Instanz des Kaprun-Prozesses wird das Berufungsverfahren wohl wieder einige Monate dauern. Doch nun werden auch die zivilrechtlichen Klagen in Angriff genommen.

Derzeit werde mit den Anwälten geklärt, ob und welche Verfahren als "Musterprozess" abgehandelt werden, sagte der Präsident des Landesgerichts Salzburg, Walter Grafinger, am Freitag der APA.

Klagen in Höhe von 9,5 Millionen

Auf der zivilrechtlichen Ebene liegen rund 100 Klagen von über 240 Personen gegen die Gletscherbahnen Kaprun AG vor: Hinterbliebene wollen Renten, Unterhaltszahlungen, Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Die Höhe des Gesamtstreitwertes wird mit mehr als 9,5 Millionen Euro beziffert.

Musterprozess wird geprüft

Abgehandelt würden die zivilrechtlichen Klagen von Richtern des Landesgerichts Salzburg, da die Forderungen Beträge über 10.000 Euro umfassen, sagte Grafinger.

Geprüft werde nun von den Richtern und Anwälten ein "Musterprozess", da es bestimmte gleiche Konstellationen bei den Klagen gebe.

Neues Beweisverfahren?

Da das Strafverfahren keine bindende Wirkung für Zivilprozesse hat, könnte das gesamte Beweisverfahren neu durchgeführt werden, sagte der Gerichtspräsident. Die Kosten müsse dann derjenige übernehmen, der den Prozess verliert.

Eine Neuauflage des gesamten Beweisverfahrens könnte im Extremfall auch beim Berufungsverfahren des Strafprozesses in Angriff genommen werden. Dafür ist nun das Oberlandesgericht Linz am Zug.

Fagans Millionenklagen

Zuversichtlich, dass die Angehörigen der Opfer der Kaprun-Katastrophe Geld durch die Prozesse in den Vereinigten Staaten bekommen werden, ist US-Anwalt Ed Fagan, der in den USA einige Verfahren gegen Firmen laufen hat, denen sich rund 120 Angehörige angeschlossen haben.

Die Forderungen belaufen sich auf zwischen sechs und 15 Millionen US-Dollar (4,70 bis 11,75 Millionen Euro) pro Opfer, je nachdem, ob es zum Beispiel Ehefrauen oder -männer oder Kinder zu unterstützen hatte, so Fagan.

Erste Urteile am Jahresende

Vorgegangen wird zunächst gegen drei US-Firmen (Omniglow, American Parmalight und American Cynamic), dann gegen die vier europäischen Firmen Siemens, Bosch Rexroth, Waagner-Biro und Beton- und Monierbau. Mit einem Urteil gegen die drei US-Firmen rechnet Fagan Ende dieses Jahres, bei den europäischen Unternehmen im Jahr 2005.

Lücke im Rechtssystem

Der Prozess deckte auch eine Lücke im heimischen Rechtssystem auf: In Österreich ist es derzeit nicht möglich, ein Unternehmen strafrechtlich zu belangen. Nur physische Personen werden vom Strafrecht erfasst.

Wohl nicht ganz zufällig gab das Justizministerium gerade jetzt bekannt, dass ein Unternehmensstrafrecht noch heuer eingeführt werden soll. Demnach sollen künftig juristische Personen und Gesellschaften für "betriebliches" Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte haftbar gemacht werden können.

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salzburg.orf.at

 

 
Mehr als 100 Schadenersatz-Klagen folgen
Am Donnerstag sind die Urteile gefallen - mit Freisprüchen für alle 16 Beschuldigten. Neben diesem strafrechtlichen Bereich zeichnen sich zivilrechtliche Verfahren ab: Angehörige in Europa und den USA haben mehr als 100 Schadenersatz-Klagen eingereicht.
 

Angehörige der Toten in Europa und USA
Salzburgs Gerichtspräsident Walter Grafinger berichtete am Freitag von rund 100 Zivilklagen von mehr als 240 Hinterbliebenen der Brandkatastrophe gegen die Gletscherbahnen Kaprun.

Die Höhe des Gesamtstreitwertes wird mit mehr als 9,5 Millionen Euro beziffert. In den USA haben sich zusätzlich rund 120 Angehörige unter Vertreung des Anwalts Ed Fagan bei Sammelklagen gegen Firmen angeschlossen. Die Forderungen belaufen sich laut Gerichtspräsident Grafinger auf fünf bis elf Millionen Euro - pro Opfer.

Zweite Strafrechtskammer kann in Salzburg tagen
Nach dem am Donnerstag in Salzburg ergangenen Urteil im Kaprun-Prozess - alle 16 Angeklagten wurden freigesprochen - bereitet sich nun das Oberlandesgericht Linz auf die Berufungsverhandlung vor.

Dazu müsse jedoch nicht das gesamte Prozessmaterial nach Linz überstellt werden, sagte Günther Winsauer vom Oberlandesgericht in Linz. Üblicherweise tage der 9. Senat seiner Institution nach Ersturteilen des Salzburger Landesgerichts auch in Salzburg. Winsauer rechnet keinesfalls damit, dass die zweite Instanz ebenfalls so viel Zeit benötige wie das erste Verfahren.

Weiteres Vorgehen der Justiz
Eine Sprecherin der Justiz in Linz schildert das weitere Vorgehen im bisherigen Verfahren laut Strafrecht. Demnach wird zunächst das Salzburger Landesgericht das Urteil schriftlich ausfertigen. Das dürfte bis Mitte oder Ende März der Fall sein.

Anschließend wird es den Parteien zugestellt. Die Staatsanwaltschaft wird nach der Prüfung des Urteils das Rechtsmittel "Nichtigkeit und Schuld aller Beklagter" zur Anwendung bringen.

Drei Richter in Linz zuständig
Dann kommt der Akt an die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Linz. Dort wird ein dreiköpfiger Richtersenat damit befasst. Dessen Vorsitzender wird einen Berichterstatter bestimmen, der den Fall aufarbeitet. Dazu muss jedoch das gesamte Prozessmaterial nicht nach Linz gebracht werden. Zuletzt wird eine Verhandlung anberaumt, in der entschieden wird.

Rechtskräftig ist die Entscheidung des Salzburger Richters noch nicht, weil die Staatsanwältin Berufung angemeldet hat. Außerdem wollen die Hinterbliebenen auf dem zivilrechtlichen Weg alle Möglichkeiten ausschöpfen.

Erste Instanz ist abgeschlossen
Niemand trage die Schuld an der Gletscherbahn-Katastrophe mit 155 Toten. Das hat Richter Manfred Seiss am Donnerstag in erster Instanz entschieden. Die Staatsanwältin hatte zuvor vergeblich die Verurteilung von 15 der 16 Beschuldigten gefordert. Das Verfahren ist nun in erster Instanz abgeschlossen, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Thomas Wegleiter:
 

"Müssen jetzt schriftliche Urteilsausfertigung abwarten"
"Wir müssen jetzt die schriftliche Urteilsausfertigung abwarten. Wenn diese vorliegt, wird die Staatsanwaltschaft prüfen, ob, in welchem Umfang und insbesondere gegen welche Personen weitere rechtliche Schritte unternommen werden."

Mögliches Delikt wegen Heizlüfter ist verjährt
Anfang April wollen die zuständigen Bezirksrichter bei den kommenden zivilrechtlichen Verfahren über Schadenersatz-Ansprüche prüfen, ob sie einen Musterprozess - stellvertretend für alle anderen - führen oder wieder ein aufwendiges Beweisverfahren notwendig sei.

Eine gerichtliche Verfolgung jener Firma, die den defekten Heizlüfter gebaut hat, sei jedenfalls nicht möglich, weil das bereits verjährt sei, sagt Staatsanwalt Wegleiter.

ORF.at
Strafprozess war nur Auftakt

salzburg.ORF.at
"Künftig auch Firmen und juristische Personen belangen ..."
Justizminister fordert Reform des Strafrechtes

Die Falschen angeklagt?

Richter kritisiert Heizlüfter-Firma

Alle 16 Beschuldigten freigesprochen

Chronologische Link-Sammlung zu Kaprun

Deutsche Presse beurteilt Urteile kritisch

 

 

 

Verjährung bezüglich des Heizlüfters - Gedanken.......
stadtindianerinvor  0min
Zum Thema HEIZLÜFTER in der Kitzsteingams will ich hier meine Privat-Gedanken (mit dieser Meinung gehe ich mit vielen selbständig denkenden Menschen konform) darstellen: Meine Theorie besagt, dass der Heizlüfter (ein Haushaltsgerät), nach Klagen der Bediensteten im Baumarkt besorgt und vom Personal (Betriebseletriker) eingebaut wurde. Vielleicht wurde der Einbau auch nicht ganz sachgerecht, Lärchenbretter etc., mangelhafte Berücksichtigung der Hydraulikleitungen, vorgenommen. Meiner Meinung nach hat ein Haushalts-Heizlüfter, deren Betrieb nur eingeschränkt möglich ist (auch im Haushalt ist vorsichtiger Umgang nötig) im Führerstand einer Standseilbahn nichts verloren. Es hätte sicherlich andere, bessere technische und vor allem betriebssichere Lösungen gegeben. Die Herstellerfirma kann in diesem Fall nicht belangt werden. Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie eine Standseilbahn mit Kunststoff-Verkleidung (statt stabilem Stahlgehäuse)& modernem Design rechtlich zugelassen werden konnte. Wurden tatsächlich von der GBK die Sicherheitsfaktoren zu wenig beachtet? Gerade bei einem Betrieb einer Standseilbahn muss doch an den äusserstmöglichen Fall (Brand)gedacht werden und auch entsprechend dananch gehandelt und vorgesorgt werden. Hier tauchen viele ernsthafte Fragen auf: Brandschutzübungen? Fluchtwege für Fahrgäste geeignet, Führung durch ortskundiges Personal nötig) Schleusentore optimal konstruiert? Verdrängungen machen keinen Sinn, es sollte doch noch einmal die Ursache durchgehend analysiert werden. Nochmals: Wer trägt die Verantwortung? - Niemand, das kann nicht sein. Mein herzliches Mitgefühl gilt nach vor den hinterbliebenen Angehörigen der Opfer und wünsche ihnen allen, dass die Gerechtigkeit siegen möge.
 

Böhmdorfer-Firmenstrafrecht soll kommen
ivanderälterevor 12h 40min
Dann gute Nacht liebe Wirtschaft es erwartet euch eine Flut von Klagen und Schuldspüchen! Aufgepaßt liebe Wirtschaftler, sonst seit ihr täglich mit einem Fuß im Kittchen oder blecht euch vor lauter Strafen deppert!

Gesetzesflut
ivanderälterevor 12h 36min
schön langsam wird die ganze Sache selbst Kriminell, man könnte Angst bekommen von solchen Politikern!

fünf bis elf Millionen Euro - pro Opfer
traumfrauausmarzipanvor 13h 32min
sosehr ich die wut und trauer verstehe, aber das ist jenseits von gut und böse. therapiekosten ja, verdienstentgang wegen tod eines alleinverdieners okay. aber das leben? in geld aufwiegen? unmöglich. meine meinung.

es ist nur die forderung, damit man doch etwas bekommt!
hotweisshotvor 12h 59min
es heißt nicht, was verlangt wird bezahlt. auch in den usa werden durchschnittlich 10-25% der angeklagtensumme erkannt. deshalb beginnt man mit einer horrorsumme, damit am ende doch noch die ganz vorstellbare summen zuerkannt werden.

Letzens im Fernsehen....
getredtvor 13h 37min
da wurde ein Beitrag über die neue Sportart, 'radeln im Winter auf Skipisten und verschneiten Forstwegen' gebracht. So, wenn sich jetzt einer weh tut dabei oder gar stirbt, soll dann der Mensch zur Verantwortung gezogen werden, der die Skipisten prepariert? Jeder ist für das Verantwortlich was er tut. Im Falle Kaprun haben die gestorbenen zwar nichts dafür können, aber sie sind in der Standseilbahn gewesen und somit haben sie ein gewisses Restrisiko getragen. Sebst meinen Bekannten, den es am Klo in der Bergstation erwischt hat hatte dieses Risiko. Die Umstände waren schlimm, aber es kann uns zu jeder Zeit und überall erwischen.

Tragisch, aber richtig
dobermann67vor 13h 42min
Dass hier keiner Schuld hat, hat das Gerichtsverfahren erbracht. Es ist leider so. Dass aber jetzt Schadensforderungen in Mio.Höhe pro Opfer auf die Betreiber zukommen (wie bei den Klagen in den USA) ist auch nciht gerechtfertigt. Leben kann man nicht ersetzen, auch nicht mit Mio. Aber hier denken die Hinterbliebenen offenbar wieder anders, wie auch der Rechtsanwalt, der seinen Sohn verloren hat . Zitat" manche fahren einen Ferrari und haben keine Kinder, wenn der verbrennt, zahlt die Versicherung, bei Kindern zahlt keiner. Nun, Kinder sind wohl keine SACHE! Schmerzensgeld ja, aber keinen "Schadenersatz"! und bleiben wir bitte am Teppich mit den Forderungen!

Man kann den lieben Gott nicht für alles
edelstoffhellvor 13h 52min
verantwortlich machen, jeder Mensch ist für sein Leben verantwortlich, dass heisst, jeder kann seine Sportarten, seine Hobbys ausssuchen, wenn er darin umkommt ist er selber schuld, wieso soll ich dafür aufkommen, wenn er sich beim Fallschirmsprung die Arschbacken verbeult ??? Es kann jeder tun und lassen, was er will, auf eigene private Vericherungsbasis, aber nicht auf kosten der Versicherten. Ich finde es wird für solche Idis sowieso zu viel gemacht, auf jeden Hügel ein Lift, dann laufen die Idis mit Halbschuhen herum, brechen sich das Genick, wer ist schuld ? der liebe Gott hätte er kein Gebirge gemacht wäre alles in bester Ordnung. Als Wahlslogan für die nächste Wahl würde ich vorschlagen: " NIEDER MIT DEN ALPEN; FREIE SICHT ZUM MITTELMEER ". Man könnte dann am Nusiedlersee schifahren, ach ja, der ist ja nicht steil genug. Liebe Grüsse Karl Valentin

Wer hat eigentlich
hochiminvor 14h 8min
"bezahlt" als die Militärmaschine der USA in Italien eine Gondel voll Menschen in den Tod gerissen hat? Hat es da überhaupt ein Verfahren gegebben? Verurteilungen?

Hier
getredtvor 13h 50min
hat es meines Wissens tatsächlich eine Verurteilung gegeben. War aber soweit ich noch in Erinnerung habe ein mildes Urteil, nur eine bedingte Strafe

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Firmenstrafrecht soll kommen

 

Nach den Freisprüchen im Kaprun-Prozess hat sich am Freitag auch der Justizausschuss des Nationalrats im Rahmen einer aktuellen Aussprache mit FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer mit dem Thema befasst.

SPÖ und Grüne forderten dabei die rasche Umsetzung des Unternehmensstrafrechts, mit dem auch juristische Personen strafrechtlich haftbar gemacht werden können.

Böhmdorfer meinte, die Vorarbeiten im Ministerium seien bereits weit gediehen. Böhmdorfer hofft nun auf einen Gesetzesbeschluss im Parlament vor Jahresende: "Der Konsens innerhalb der Koalition ist zum Greifen nahe."

Größeres Problembewusstsein

Durch den Kaprun-Prozess sei ein erhöhtes Problembewusstsein entstanden, er hoffe noch heuer auf einen Parlamentsbeschluss, so Böhmdorfer. Das Urteil im Kaprun-Prozess wollte der Justizminister nicht kommentieren - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Opposition kritisiert ÖVP

Die Opposition warf der ÖVP vor, die Umsetzung des Unternehmensstrafrechts bisher verhindert zu haben. Einig waren sich die Parteien allerdings darin, dass das Urteil selbst im Ausschuss nicht diskutiert werden könne.

ÖVP-Justizsprecherin und Ausschussvorsitzende Maria Fekter betonte in diesem Zusammenhang, dass die Gerichtsbarkeit im Justizausschuss sicher nicht debattiert werde. Schließlich könne man die "Gewaltenteilung nicht über Bord werfen auf Grund eines aktuellen Anlassfalls". Das Unternehmensstrafrecht werde "mit Sicherheit" eingeführt, sagte Fekter.

"Erstentwurf ungenügend"

Dem Vorwurf der Opposition, die ÖVP habe das Gesetz bisher verhindert, begegnete Fekter mit dem Hinweis, dass der Erstentwurf ungenügend gewesen sei.

Die Industriellenvereinigung habe daraufhin einen Gegenentwurf vorgelegt und derzeit sei der zuständige Bearbeiter im Justizministerium karenziert, so Fekter.

Stoisits: "Österreich säumig"

Die grüne Justizsprecherin Terezija Stoisits verwies darauf, dass Österreich bei der Umsetzung entsprechender EU-Normen säumig sei.

Die Einführung der Strafbarkeit juristischer Personen könne zwar den Angehörigen der Kaprun-Opfer nicht mehr helfen, aber es wäre eine Möglichkeit für die Politik, eine "angemessene Reaktion zu zeigen".

Wirtschaftskammer als "Bremser"

Die "Bremser" in Sachen Unternehmensstrafrecht "sind offensichtlich in der Wirtschaft, sprich Wirtschaftskammer", meinte Stoisits. Auf die Frage, ob der Kaprun-Prozess anders ausgegangen wäre, hätte es schon im Jahr 2000 ein Unternehmensstrafrecht gegeben, wollte sie sich nicht einlassen.

SPÖ-Kritik am Prozess

Auch SPÖ-Konsumentenschutzsprecher Johann Maier warf der ÖVP vor, das Unternehmensstrafrecht bisher verhindert zu haben, und forderte dessen baldige Umsetzung.

Er kritisierte, dass es im Vorfeld des Kaprun-Prozesses zahlreiche Ermittlungspannen gegeben habe. So sei "wesentliches Beweismaterial verschwunden". Zudem sei eine einzige Staatsanwältin 16 Verteidigern gegenübergestanden. Ob es ohne diese Pannen ein anderes Urteil gegeben hätte? Maier: "Das ist nicht auszuschließen."

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Urteile noch nicht rechtskräftig

 

 

Die Urteilsverkündung am Donnerstag war mit großer Spannung erwartet worden - für die Angehörigen der 155 Opfer der Gletscherbahn-Katastrophe in Kaprun wurde sie zu einer bitteren Enttäuschung. Richter Manfred Seiss sprach im Salzburger Kolpinghaus alle 16 Angeklagten frei.

Die Freisprüche sind allerdings noch nicht rechtskräftig. Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat meldete unmittelbar nach Ende der stundenlangen Urteilsbegründung Berufung wegen "Nichtigkeit und Schuld aller Beklagter" an.

Empörung bei Hinterbliebenen

Das Urteil mehr als drei Jahre nach dem Brandunglück stieß bei Hinterbliebenen auf Empörung und lautstarke Proteste schon bei der Urteilsverlesung.

"Ich geniere mich für mein Land", sagte eine Frau aus Wien, die ihren Sohn in dem Inferno in der Stollenbahn am Kitzsteinhorn verloren hatte. Andere Angehörige sprachen von "Schande" und "Hohn" - mehr dazu in salzburg.ORF.at.

"Glauben an Justiz verloren"

"Ich habe den Glauben an die österreichische Justiz verloren", sagte eine betroffene Frau aus Bayern in einem dpa-Gespräch.

Anwalt: "Krasses Fehlurteil"

Anwalt Jürgen Hinterwirth, der 29 Angehörige vertritt und mit US-Anwalt Ed Fagan zusammenarbeitet, sprach von einem "krassen Fehlurteil".

Er müsse den Spruch in einem Rechtsstaat zur Kenntnis nehmen, gehe aber davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel ergreifen werde. Er glaube auch nicht, dass die Freisprüche in den Instanzen halten werden.

Hoffnung auf zivilrechtliche Verfahren

"Ich kann mir nicht vorstellen, wie der Richter das Urteil logisch und rechtlich nachvollziehbar begründen kann." Die Freisprüche seien auch keineswegs ein Präjudiz für die zivilrechtlichen Verfahren.

Diese würden separat und völlig unabhängig vom Strafverfahren durchgeführt, so Hinterwirth.

Witti: "Wahrheit nicht gebracht"

Auch der deutsche Opferanwalt Michael Witti kritisierte die Freisprüche. "Das Urteil sollte Wahrheit und Genugtuung für die Angehörigen bringen. Das hat es nicht gebracht", so Witti. Der Anwalt hofft jetzt auf das Berufungsverfahren.

Als Nebenkläger dürfe seine Kanzlei in einem österreichischen Strafverfahren nicht selbst Rechtsmittel einlegen. Die Chancen seiner Mandanten für die laufende Schadenersatzklage in den USA sieht Witti durch das Urteil nicht geschmälert. Der Anwalt vertritt 83 deutsche und niederländische Angehörige der Opfer der Brandkatastrophe vom November 2000.

GBK: "Sieg des Rechtsstaates"

"Am heutigen Tag hat der Rechtsstaat gewonnen", meinte hingegen Harald Schiffl, Pressesprecher der Gletscherbahnen Kaprun AG (GBK). Seit dem Tag der Katastrophe habe sich das Unternehmen bemüht, alles zu tun, um an der Aufklärung der Unfallursache mitzuhelfen, und den Behörden und dem Gericht alle vorhandenen Informationen zur Verfügung gestellt.

"Das Gericht hat nun eindeutig alle Anschuldigungen, die in den letzten drei Jahren gegen unser Unternehmen und unsere Mitarbeiter erhoben wurden, widerlegt", so Schiffl in einer Aussendung.

Experte: Kein Verständnis für Empörung

Der Strafrechtsexperte der Universität Innsbruck, Christian Bertel, hat wenig Verständnis für die aufgebrachten Reaktionen der Hinterbliebenen.

"Es kann nicht so sein, dass bei jedem Unglück - auch mit 155 Toten - unbedingt jemand eingesperrt werden muss" - mehr dazu in tirol.ORF.at.

Richter: "Unverständnis erwartet"

"Nur Menschen, aber nicht Firmen können schuldig sein", so Richter Seiss. Er habe ausschließlich die Regeln des Strafrechts angewandt. Bei vielen werde das auf Unverständnis stoßen, so Seiss.

Den 16 Beschuldigten habe aber weder die "fahrlässige Herbeiführung einer Feuersbrunst noch die fahrlässige Gemeingefährdung" nachgewiesen werden können.

"Produktionsfehler bei Heizstrahler"

Der verheerende Brand sei auf einen Produktionsfehler eines Heizstrahlers in der Bahn zurückzuführen, befand das Gericht. Es habe aber keine Vorschrift gegeben, die den Einbau dieser Heizung verboten hätte.

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