news
1. Jänner 2002

KAPRUN: 155 TOTE KLAGEN AN

WER IST SCHULDIG? Das Gericht wird 150 Zeugen befragen, wer für Tötung im Tunnel verantwortlich ist.

Immer wenn Johannes Stieldorf die Akte Kaprun zu Hand nimmt, kommt auch die Erinnerung an die letzte Begegnungen mit seinem Sohn Matthäus zurück. Die Freude über den unverhofften Anruf am Vorabend der Katastrophe, als der 18-Jährige mitteilt, dass er und seine Freunde die Autofahrt, vor der die Eltern ein wenig Bauchweh hatten, unfallfrei überstanden hätten. Die Gespräche über die nächste Zukunft des Sohnes, der seine Reifeprüfung am Wiener Theresianum abgelegt hatte. Und dann die Stimme auf der Mailbox, als Karin und Johannes Stieldorf am Nachmittag des 11. November 2000 immer wieder dieselbe Nummer eintippen. Zu einem Zeitpunkt, da der geliebte Sohn, der es noch viele Dutzend Stufen nach oben schaffte, längst leblos im Tunnel liegt. Und das Handy in seiner Jackentasche schmilzt.

Die Katastophe. Die juristische Auseinandersetzung mit der größten Katastrophe der Zweiten Republik, bei der im Tunnel von Kaprun 155 Menschen starben, eröffnet dem renommierten Wirtschaftsanwalt aber gleichzeitig die Chance, "die geschlagene Wunde, die nun einmal da ist, auszuheilen".

Johannes Stieldorf hat neue Gutachter durchgesetzt, die Aussagen analytisch aufbereitet und sich ausgerechnet, welche Brandlast das als Isoliermaterial verwendete Styropor hatte. Jetzt will er wissen, ob die Kontrollen der Bahn so erfolgten, "dass die Behörde unter den Wagen gekrochen ist oder die Prüfberichte nur alibimäßig während der Speckjause ausgefüllt hat".

Ungeklärte Fragen. Es gibt so viele Fragen, die unbeantwortet sind. Warum gingen die Türen nicht auf? Warum gab es laufend Pannen? Und dann ist da "dieser Hass, dass mein Sohn und so viele andere Menschen sterben mussten, nur weil dort schlampig und unverantwortlich gearbeitet wurde". "Die emotionale Aufarbeitung", weiß Johannes Stieldorf, "ist ein noch viel längerer Prozess."

Der Wiener Anwalt, der noch vier weitere Opfer-Familien vertritt, hat sich dem Verfahren als Privatbeteiligter angeschlossen. So wird er im kommenden Frühjahr, wenn der Prozess des Jahres beginnt, neben der Anklägerbank im Landesgericht Salzburg Platz nehmen.

"Ich will, dass die wirklich Verantwortlichen bestraft werden und keine Unterläufel. Und ich will, dass die Urteile so ausfallen, dass sie generalpräventiv wirken. Das wird zwar meinen Schmerz nicht mildern, aber dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passieren kann ... "

Der Prozess. Noch im Jänner wird das Justizministerium den Strafantrag gegen 16 mutmaßliche Täter bewilligen - darunter die beiden Vorstände der Gletscherbahnen, der Betriebsleiter, die zu. ständigen Beamten der Seilbahnbehörde sowie Monteure und Mitarbeiter der Hersteller- und Zulieferfirmen. Das Gericht lastet diesen Männern die Schuld daran an, dass das Feuer im Zug ausbrechen und sich in der Folge zum alles vernichtenden Fiasko ausbreiten konnte. Die Delikte heißen "Fahrlässige Gemeingefährdung" und "Fahrlässige Herbeiführung einer Feuersbrunst" auf beide stehen bis zu fünf Jahre Haft.

150 Zeugen. Um die Ursachen der Tötung zu klären, will Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat mehr als 150 Zeugen hören - Mit.arbeiter der Bahn, Passagiere, Gutachter, Überlebende und vor allem auch jene Ministerialbeamten und TÜV-Mitarbeiter, die für Bewilligung und Kontrolle von "Gletscherdrache" und "Kitzsteingams" zuständig waren. Die überaus penible Prozessvorbereitung, dokumentiert auf Zehntausenden Aktenseiten, soll sicherstellen, dass "nicht einer die Schuld auf den anderen schiebt und damit auch durchkommt", wie Walter Grafinger, der Präsident des Gerichtes, sagt. Denn die letzten Einvernahmen der Beschuldigten machten deutlich, dass sich alle abputzen wollen. "Deshalb muss das Gericht exakt nachweisen, wer wann wofür verantwortlich war."

Das Verfahren. Wie verfahren sich die Verhandlung, die gleich für mehrere Wochen anberaumt wurde, gestalten dürfte, zeigt schon das Beispiel des brandauslösenden Heizlüfters.

Johannes Stieldorf kennt "dieses Hin- und Herschieben". Und geht deshalb noch einmal die Akte durch, den so fröhlichen Sohn immer vor Augen.

 

Anwalt Johannes Stieldorf, 50, ist Anwalt und Angehöriger in einer Person. "Als Vater fühle ich vor allem Hass, als Anwalt kämpfe ich dafür, dass Verantwortliche bestraft werden ..."

 

zurück