Kaprun - Der "Keine Zweifel offen"

21. Jänner 2004 | 10:00

"Keine Zweifel" sind für die Staatsanwältin nach dem "Prozess-Marathon" im Fall Kaprun offen: Sie hält die Vorwürfe bei 15 der 16 Beschuldigten für erwiesen.

SALZBURG (SN-res).

Nach 19-monatigem Verfahren an 60 Verhandlungstagen reduzierten sich für Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat jene Sorgfaltsverstöße, die ihrer Ansicht nach zur Katastrophe der Kapruner Standseilbahn am 11. November 2000 mit 155 Toten führten, auf Kernpunkte:

Der Kardinalfehler liege in der Verletzung jener Grundsätze, die besagen, dass die bauliche Nähe zwischen einer Zündquelle und einem Zündstoff gefährlich und daher zu vermeiden sei. Auch wenn es im konkreten Fall um das fatale Zusammentreffen zwischen einem Heizlüfter im Kunststoffgehäuse und Öl führenden Hydraulikleitungen aus Kunststoff - verlegt hinter einem Holzverbau im Führerstand des Unglückszuges - gehe, so sei dies kein "seilbahnspezifisches" Risiko gewesen: Die Gefährlichkeit von Zündquelle, Zündstoff und Sauerstoff sei vielmehr in der Technik ganz allgemein bekannt.

Es stehe über allem der verhängnisvolle Fehler, dass man bei Ausführung der Bahn nicht an Brand gedacht und demzufolge auch brandschutztechnische Maßnahmen nicht ergriffen habe.

In ihrem dreistündigen Plädoyer vor dem Salzburger Einzelrichter Manfred Seiss, den 16 Beschuldigten und ihren Verteidigern, Privatbeteiligten-Anwälten sowie zahlreichen Angehörigen der Opfer brachte die Staatsanwältin ihre Überzeugung zum Ausdruck: Diese Sorgfaltsverstöße, die sich auch in der mosaikartigen Betrachtung von Fehlern und Fehlleistungen zeigten, seien 15 der 16 Beschuldigten als fahrlässiges - und somit strafbares - Handeln anzulasten.

Wenn vor allem die Verantwortlichen der Gletscherbahnen immer wieder damit argumentiert hätten, zum Zeitpunkt der Erneuerung der Wagenaufbauten 1993/94 sei ein Brandrisiko in Standseilbahnen weltweit nicht bekannt gewesen, so halte sie, so die Staatsanwältin, dem entgegen: Das Risiko des Zusammentreffens einer Zündquelle mit einem Zündstoff stelle sich unabhängig vom Standort.

Der Heizlüfter sei entgegen den Anforderungen der Sorgfalt an der falschen Stelle angebracht worden; wäre er gegenüber montiert worden, hätte es keine Berührung mit der Hydraulik und keinen derart fatalen Brand gegeben.

* Nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von Sorgfaltsverstößen lastete die Staatsanwältin dem technischen Direktor der Gletscherbahnen (GBK), Ing. Manfred M., und Betriebsleiter Ing. Günther B. an: Statt einen Brand beim Bau der neuen Wagenaufbauten 1993/94 grundsätzlich auszuschließen, hätte man als "Minimum an Sorgfaltspflicht" von ihnen verlangen müssen, eine Risiko- und Sicherheitsanalyse zu erstellen. Dabei - so die Staatsanwältin - hätte man das "schlummernde Risiko" rund um den Heizlüfter erkannt. Dem GBK-Betriebsleiter ("er kannte die Bahn wie seine Westentasche") seien dar-über hinaus Wartungsversäumnisse, gerade was den Heizlüfter betreffe, anzulasten.

* Auch die Vorwürfe gegen Ing. Robert V., technischer Leiter der Fa. Swoboda, die den Wagenaufbau besorgte, und gegen den verantwortlichen Projekttechniker Ing. Günther P. seien aufrecht: Das reiche von Planungsfehlern bezüglich des Heizlüfters, der ein ungeeignetes Gerät gewesen sei, bis hin zu mangelnden Schutzmaßnahmen gegenüber den Öl führenden Hydraulikleitungen.

* Hydraulikern der Firma Rexroth (Friedrich P., Josef D., Manfred G.) sei anzulasten, dass sie vor Verlegung der Leitungen die "unklare Lage" im Heizlüfter-Bereich hätten abklären müssen. Von ihnen als Fachleuten wäre zu fordern gewesen, dass sie Alarm schlagen.

* Hart ins Gericht ging die Staatsanwältin auch mit drei Beamten des Verkehrsministeriums (Peter S., Ewald H., Manfred S.): Im Bewilligungsakt fand sich nichts über den Heizlüfter, der grundsätzlich genehmigt worden sei. Keiner der vor Ort prüfenden Fachleute habe sich dafür zuständig gefühlt, weil dies "den Brandschutz betraf". Mit einem "derartigen Verständnis von Prüfung kann und darf sich Österreich nicht der Weltöffentlichkeit präsentieren". Auch den beiden TÜV-Prüfern Peter P. und Ing. Thomas K. müsse man vorhalten, dass durch mangelhafte Untersuchungen die zum Brand führende Konstellation unentdeckt blieb.

* Letztlich hielt die Anklägerin auch die Vorwürfe bezüglich einer mangelhaften Brandschutztür im Alpincenter, durch die für drei Menschen tödliche Gase eingedrungen waren, für erwiesen. Sie träfen die Techniker Franz L. und Ing. Johann P. (Prüfer) sowie Ing. Karl A. von der Bauaufsicht.

"Menschenverstand hätte ausgereicht"

Nur in einem einzigen Fall, betreffend den für die Arbeitsplatz-Evaluierung bei den GBK zuständigen Ing. Thomas S., meinte die Staatsanwältin: Hier solle das Gericht den Strafantrag "überprüfen".

Auch die Anwälte der Privatbeteiligten hielten ihre Schlussvorträge. Es seien "minimalste Sorgfaltsmaßstäbe" nicht eingehalten worden. Für die Erkenntnis, dass der Heizlüfter nicht derart in eine Bahn eingebaut werden dürfe, genüge "gesunder Menschenverstand". Detail am Rande: Der Anwalt der GBK erstattete Strafanzeige gegen den Hersteller des Heizlüfters.

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Verteidiger im Kaprun-Prozess am Wort

21. Jänner 2004 | 11:33

SALZBURG (SN, APA). Wieder unter Anwesenheit zahlreicher Zuhörer begannen am Mittwoch beim Kaprun-Prozess im Salzburger Kolpinghaus die Verteidiger mit ihren Plädoyers. Kritik an Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat und den Privatbeteiligtenvertretern übte Wolfgang Brandstetter, Verteidiger des angeklagten technischen Direktors der Gletscherbahnen Kaprun.

Die Staatsanwältin habe der Objektivität nicht entsprochen, zu der sie rechtlich ebenso verpflichtet wäre: Sie habe sich nur auf das Gutachten des aus dem Verfahren ausgeschiedenen Gutachters Anton Muhr bezogen und die im Beweisverfahren widerlegten Vorwürfe ignoriert. Außerdem habe die Staatsanwältin ihren Strafantrag weder ergänzt noch modifiziert. Die Privatbeteiligten hätten die rechtlichen und teilweise die Grenzen des Rechtsstaates überschritten.

Den Anklagevertretern warf Brandstetter weiters vor, dass von den heutigen Erfahrungswerten ausgegangen worden sei und nicht von den vor der Katastrophe gegebenen Kenntnissen und Möglichkeiten. Juristisch sei das ein entscheidender Fehler, denn die Katastrophen von heute seien die Sicherheitsnormen von morgen, was man einmal mehr schmerzlich zur Kenntnis nehmen müsse, erklärte der Anwalt. Die Katastrophe von Kaprun sei dafür ein ganz typisches Beispiel, weil erst jetzt in Form des Seilbahngesetzes 2003 und der Novelle zur Seilbahnprüfungsverordnung erstmals eine periodische brandschutztechnische Überprüfung von Seilbahnen durch externe Sachverständige sowie andere Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen seien.

Deren Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit habe niemand vor dem Unglück erkannt, erklärte Brandstetter. "Diese strengeren, auf den Erfahrungen dieses Unglücks aufbauenden Normen gelten aber erst jetzt, sie auf die Vergangenheit anwenden und die Beschuldigten an Maßstäben messen zu wollen, die erst danach gesetzt wurden, wäre ein schwerer Verstoß gegen tragende rechtsstaatliche Grundsätze", betonte der Verteidiger.

Der Direktor sei all seinen Pflichten nachgekommen und die Vorwürfe der Staatsanwältin seien nach dem Beweisverfahren, den Gutachten und Aussagen der Sachverständigen widerlegt worden, unterstrich Brandstetter. Im Ergebnis sei somit festzuhalten, dass sämtliche Anschuldigungen der Staatsanwältin gegen seinen Mandanten nicht nur nicht erhärtet, sondern eindeutig widerlegt wurden. Sein Mandant werde daher nicht nur im Zweifel, sondern wegen erwiesener Schuldlosigkeit freizusprechen sein. (Bild: SN/Ratzer)

Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat habe sich geweigert, alle Beweismittel und Gutachten, die zu Gunsten der Beschuldigten sprachen, "zur Kenntnis zu nehmen". Selbst bei ihrem Plädoyer habe die Staatsanwältin falsch zitiert und falsche Aussagen getroffen, stellten die bis Mittag zu Wort gekommenen Verteidiger fest, die alle für einen Freispruch ihrer Mandanten plädierten. Die Beschuldigten hätten weder fahrlässig noch sorgfaltspflichtwidrig gehandelt. Alle kritisierten, dass sich Danninger-Soriat am Stand der Technik von heute orientiere und orientiert habe.

Die Staatsanwältin "hat von Anfang an alle Argumente, die für die Beschuldigten sprachen, ignoriert, weil die Beschuldigten für sie als Beschuldigte feststehen", kritisierte Wilfried Haslauer, Anwalt des verantwortlichen Leiters der Bahn. Die von Danninger-Soriat erhobenen Vorwürfe seien "ohne Substanz" und enthielten "unglaubliche Behauptungen".

Ein Produktionsfehler im Heizlüfter sei nicht erkennbar gewesen und dies hätten auch die Gutachter im Beweisverfahren erläutert. Hydraulik und Heizlüfter seien nie als gefährlich eingestuft gewesen - und dass ein Brand ausgeschlossen worden sei, war der damalige Stand der Technik, was auch im Beweisverfahren und den Gutachtern festgestellt wurde, so Haslauer. Sein Mandant könne nicht klüger oder hellseherischer sein als Professoren, Sachverständige oder Experten.

Haslauer bekrittelte ebenso wie Peter Lechenauer, Verteidiger eines leitenden Mitarbeiters der Firma Swoboda, dass bei den Voruntersuchungen "unglaublich schlampig", fehlerhaft und fahrlässig vorgegangen worden sei. "Es ist unter jeder Kritik, was bei den Voruntersuchungen geschah." Es habe eine Vorverurteilung schon von Anfang an gegeben - vor allem auf Druck der Medien, sagte Lechenauer. "Eine objektive Spurensicherung liegt nicht vor", meinte der Verteidiger, der wie seine Kollegen das Plädoyer der Staatsanwältin vom Dienstag bekrittelte, da dieses viele Fehler aufgewiesen habe, die eindeutig den Aussagen der Sachverständigen und Gutachter entgegenstünden.

Wenn sich die Staatsanwaltschaft schon so für elektrische Leitungen und Elektronik interessiere, so frage er sich, warum sich niemand von der Firma Siemens auf der Anklagebank befinde, meinte Lechenauer. "Siemens hat interveniert, damit dieses weltweite Unternehmen nicht mit dem Verfahren in Zusammenhang gebracht wird", sagte der Anwalt.

Man könne den Beschuldigten keine Fahrlässigkeit vorwerfen. Für ihn sei es völlig unnachvollziehbar, wie es zu einen Strafantrag gegen seinen Mandanten gekommen sei, sagte Klaus Perner, Verteidiger eines 39-jährigen Mitarbeiters der Gletscherbahn. Die Staatsanwältin "hat versucht, ihre vorgefasste Meinung durchzupeitschen".

"Weder die Firma Siemens noch eine andere Weltfirma oder das Justizministerium haben jemals bei mir interveniert. Ich hätte niemanden deshalb nicht angeklagt, weil er interveniert hat", stellte Staatsanwältin Danninger-Soriat zu den Aussagen von Anwalt Peter Lechenauer in seinem Plädoyer fest.

Das Ermittlungsverfahren nach der Katastrophe "war im Vorfeld nicht so, wie man es sich gewünscht hätte", sagte Rene Musey, Verteidiger eines 35-jährigen Mitarbeiters der Firma Swoboda. Es sei das Bestreben gewesen, so rasch wie möglich ein Ergebnis herbeizuführen. "Manchen Dingen von Relevanz wurde kein Augenmerk geschenkt." So hätte beispielsweise der Heizstern gefunden werden können, aber "es wurde nicht einmal gesucht." Es habe "ein Defizit bei der Beweismittelermittlung" gegeben - "jetzt weiß man es besser, man hätte es besser machen können", sagte Musey.

Der Verteidiger wies ebenfalls die in der Anklage erhobenen Vorwürfe auf Grund der Sachverständigen- und Gutachteraussagen zurück und meinte unter anderem: "Frau Staatsanwältin, Sie werfen vor, dass die Türen nicht von innen geöffnet werden konnten. Was hätten Sie gesagt, wenn dem so ist und irgendjemand hätte die Türen von innen auf der Brücke geöffnet und viele Menschen wären in die Tiefe gestürzt." Musey warf der Staatsanwältin vor, in ihrem Plädoyer erneut Anklage erhoben zu haben. "Mein Mandant ist nicht schuldig und es ist die Pflicht, ihn freizusprechen", schloss der Verteidiger.

Am Verhandlungstag Dienstag mit den Plädoyers der Staatsanwältin sowie einiger Privatbeteiligtenvertreter sei Erstaunliches zu hören gewesen: Die Staatsanwältin habe von Beweisen gesprochen, "die es nicht gibt, und von den Privatbeteiligtenvertretern wurden teilweise anstelle von Fakten Emotionen angesprochen", sagte Wolfgang Schubert, Verteidiger eines 40-jährigen Mitarbeiters der Firma Rexroth. Die Staatsanwaltschaft und einige Privatbeteiligtenvertreter hätten versucht, "ihr Fehlen an fachmännischem Wissen durch Hausverstand wettzumachen".

"Alle Argumente im neuen Gutachten sind untergegangen. Es war eine Mischung von falscher Aktenwiedergabe und Emotionen", sagte Schubert. Von einem rechtswidrigen Verhalten oder einer Verletzung der Sorgfaltspflicht seines Mandanten könne keine Rede sein, sagte der Verteidiger, der keinen Grund für die Verurteilung weder seines Mandaten noch der anderen Beschuldigten sieht.

Am späten Nachmittag wurde mit den Plädoyers der übrigen neun Verteidiger begonnen. Richter Manfred Seiss will die Schlussreden der Anwälte noch am Mittwoch beenden, so dass der Donnerstag verhandlungsfrei ist.

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