News
18. Juli 2001
Der Aufstand der Hinterbliebenen
Angehörige der Kaprun-Opfer behaupten: "Man will uns austricksen."
Max Weber-Unger, der seinen 18-jährigen Sohn Franzi im Tunnel von Kaprun verloren hat, muss sich, anstatt den Verlust seines geliebten Kindes verarbeiten zu können, wie so viele Angehörige mit Behörden, Versicherung, vor allem aber der Kapruner Gletscherbahn auseinander setzen. Weil der Wiener Dentist die Katastrophe öffentlich als "Kriminalfall" bezeichnet hat, erhielt er ein Schreiben der Kaprun-Betreiber, in dem ihm mit einer Klage wegen Verleumdung und Kreditschädigung gedroht wird. Die 155 Kreuze, die er gemeinsam mit anderen Familien in Kaprun aufstellen ließ, wurden angeblich von einem Ortsbewohner mit dem Auto niedergemäht. "Doch das ist gar nicht möglich", sagt Max Weber-Unger, "denn die Kreuze waren fest verankert, die kann ein einzelner Autofahrer unmöglich wegräumen. Ich glaube vielmehr, dass Kaprun diese Fremdenverkehrsstörung nicht länger dulden wollte."
Therapeut protestiert. Was den Zahnarzt und mit ihm Hunderte Angehörige der Kaprun-Opfer aber am stärksten bedrückt, ist die undurchsichtige Rolle des Schweizer Therapeuten Peter Fässler-Weibel. Der Psychologe, eigentlich ausgebildet für Paar- und Familientherapie, wurde nach dem Unglück von den Gletscherbahnen angeheuert, um Hinterbliebene bei der psychologischen Bewältigung der Katastrophe zu unterstützen. Doch Peter Fässler-Weibel, sagt Opferanwalt Jürgen Hinterwirth, "ist sicherlich nicht der neutrale, gute Onkel, es besteht vielmehr der begründete Verdacht, dass er als verlängerter Arm für die Kaprun-Betreiber dient. So hatte der Therapeut volle Akteneinsicht, ist bis zu den pathologischen Befunden jedes einzelnen Opfers informiert und bietet sogar Teile des Gerichtsaktes an." Derzeit organisiert er die von vielen Angehörigen seit Monaten gewünschte Tunnelbegehung, wo diese noch einmal Abschied von ihren Verstorbenen nehmen wollen. Und operiert dabei höchst umstritten. Wer mit in den Tunnel will, muss nicht nur, was von allen verstanden wird, einen medizinischen Unbedenklichkeits-Check vorweisen, sondern mit Unterschrift "Herrn Peter Fässler-Weibel ermächtigen, medizinische oder andere Auskünfte über meine Person einzuholen und diesbezügliche Akten anzufordern
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18. Juli 2001
Der Kriminalfall Kaprun
Exklusiv. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt gegen 25 Verdächtige: Mitarbeitern der Gletscherbahnen, der Herstellerfirmen des Todeszuges sowie Beamten des Verkehrsministeriums drohen bis zu fünf Jahre Haft.
Justiz. Ein Anwalt protestiert: Das Gericht gewährte den Gletscherbahnen, die nun als mutmaßliche Verdächtige verfolgt werden, volle Akteneinsicht. "So konnten sie sich auf alles vorbereiten ..."
Der Tod von 155 Menschen, der das Aktenzeichen UT 5311/00 T trägt, wird seit der vergangenen Woche nicht mehr länger "unbekannten Tätern" angelastet. Auf dem Deckblatt der vertraulichen Akte, die mittlerweile 10.000 Seiten umfasst, stehen jetzt 25 Namen. Es sind die Namen von Angestellten der Gletscherbahnen Kaprun, mehreren Beamten des Ministeriums für Verkehr sowie 17 Ingenieuren, Managern und Mitarbeitern der Hersteller- und Lieferfirmen des Zuges.
Fahrlässige Gemeingefährdung
Sie alle stehen unter dem Verdacht der "fahrlässigen Gemeingefährdung". Dieses Delikt kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Die Staatsanwaltschaft Salzburg, die derzeit die Ermittlungen in der größten Katastrophe der Zweiten Republik führt, hat seit dem 11. November 2000, dem Tag des Infernos, nach den Schuldigen ermittelt.
Jetzt, acht Monate nach der allerletzten Fahrt der "Kitzsteingams" in die absolute Dunkelheit, liegen dem Gericht sämtliche Zeugeneinvernahmen, technische Protokolle, die Befunde der Gerichtsmedizin sowie
die vorläufigen Untersuchungsergebnisse der Gutachter vor. Aufgrund dieses Materials hat die Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat nun offiziell die Vorerhebung gegen die 25 Verdächtigen – es sind ausschließlich Männer – eingeleitet. Für all diese Personen gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Denn im Zuge der Vorerhebungen sowie der darauf folgenden Voruntersuchungen können Verdächtige, deren Unschuld sich herausstellt, wieder ausscheiden und neue mutmaßliche Täter hinzukommen. Das ist auch der Grund, warum die Namen der Verdächtigen, die NEWS vorliegen, derzeit nicht veröffentlicht werden dürfen.
Die mutmaßlichen Täter können in drei Gruppen eingeteilt werden: die Beamten des für die Seilbahnanlage Kaprun zuständigen Ministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten, die Mitarbeiter der Gletscherbahnen Kaprun sowie Manager und Ingenieure jener Firmen, die für den Aufbau sowie die Ausstattung des Zuges verantwortlich sind.
Unter Verdacht: Beamte des Ministeriums
Die Staatsanwaltschaft erhebt gegen führende Beamte des Verkehrsministeriums. Hier geht es darum zu prüfen, warum die Anlage sowie der Betrieb der Bahn genehmigt wurden, obwohl diese offenbar nicht sicher waren. Und darum, weshalb die Gefahr eines möglichen Brandes nicht einmal theoretisch abgehandelt wurde.
- So konnte festgestellt werden, dass die Fensterscheiben der Bahn ausschließlich aus Plexiglas gefertigt waren, das im Notfall fast nicht zerstört werden kann. Es gab weder Notfenster noch einen einzigen Nothammer. Zudem ließen sich die Türen der Abteile nur von außen öffnen.
- Was am Unglücksmorgen dazu geführt haben dürfte, dass der Wagenbegleiter nur noch das oberste Abteil aufsperren konnte, bevor ihn selbst die Kräfte verließen. Ein paar Passagiere des talwärts gelegenen Abteils schafften es, eine Fensterscheibe einzudrücken und bergab zu flüchten. Die anderen Skifahrer versuchten, getrieben von Atemnot und Todesangst, im Zug, dessen Abteile zwar getrennt sind, an der Decke aber einen etwa dreißig Zentimeter hohen Durchlass haben, zur offenen Tür am obersten Wagenende zu gelangen. Was den meisten tatsächlich gelang, ehe sie auf der Treppe neben dem Zug erstickten.
- Das Gericht recherchiert den Vorwurf, wonach es keinerlei funktionierende Notbeleuchtung, keine Durchsagen im Zug und auch keine Hinweise auf einen Fluchtweg geben habe. Der Tunnel soll ebenfalls stockfinster, die so genannte Nottreppe unbeschildert gewesen sein.
- Ein Brand wurde als "undenkbar" gar nicht erst erörtert. Das Gericht ermittelt auch, ob die regelmäßigen nachträglichen Umbauten der Bahn von den Beamten ordnungsgemäß abgenommen wurden – oder in einer Mischung aus Schlamperei und Schlendrian fahrlässig bewilligt wurdenUnter Verdacht: Bahnverantwortliche
Das Gericht verdächtigt darüber hinaus Angestellte der Gletscherbahnen Kaprun, das Delikt der "fahrlässigen Gemeingefährdung" begangen zu haben.
- Hier geht es um die Frage, ob die Bahnbetreiber durch ihr Verhalten zum Ausbruch des Feuers beigetragen haben, und darum, ob mögliche Rettungsmaßnahmen zu spät oder falsch gesetzt wurden.
- So geht es um die Frage, ob die Bahn in den Tagen und Wochen vor dem Unfall regelmäßig nächtliche Sondertransporte für den Umbau des Alpinzentrums durchführte. Das Gericht prüft deshalb, ob diese außerordentliche Beanspruchung – durch Tonnen an Baumaterial – zur verhängnisvollen Überlastung der Bahn führte.
- Zeugen geben an, dass die Schleusentore der Bergstation, die die Kaminwirkung im Tunnel unterbinden sollen, zum Zeitpunkt des Infernos offen standen. Zudem wird untersucht, warum es in den Tagen vor der Katastrophe regelmäßig schwere Pannen gab – so fiel einfach der Strom aus, Züge blieben im Tunnel stecken, oder Türen ließen sich nicht automatisch öffnen – und warum diese offenbar nicht ordentlich behoben wurden.
- Gleichzeitig wird der Verdacht gecheckt, ob die Gletscherbahnen doch brennbare Flüssigkeiten in der Unglücksbahn auf den Berg transportiert haben. Diese Flüssigkeiten könnten auch der Grund für die schnelle Ausbreitung des Brandes gewesen sein. So gaben Überlebende übereinstimmend an, auf der Flucht zwei starke Explosionen gehört zu haben.
- Darüber hinaus wird ermittelt, ob der Tod von 155 Menschen nicht auch nach dem Ausbruch des Feuers noch zu verhindern gewesen wäre. Konkret geht es darum, ob die Männer in der Bergstation rechtzeitig alle Mittel einer Bergung ausgeschöpft oder falsch reagiert haben. So dürfte der Zug nur deshalb nicht aus dem Tunnel gezogen worden sein, weil niemand mehr wusste, ob dessen Türen offen stehen.
Unter Verdacht: Hersteller und Zulieferer. Die dritte Gruppe der mutmaßlichen Täter besteht aus insgesamt 17 Personen, die als Mitarbeiter, Monteure, Ingenieure oder als Manager der Herstellerfirmen des Zuges sowie der Zulieferfirmen im Verdacht stehen, fahrlässig gehandelt zu haben. So wird erhoben, ob die Dämmung des Zuges aus hoch brennbarem Material hergestellt war, das unter der Hitze des Feuers flüssig wurde, auf den Zugsboden lief und dort möglicherweise für die rasante und todbringende Ausbreitung der Flammen sorgte. Ein anderes Unternehmen wird verdächtigt, verschiedene Schläuche für die Hydraulikleitungen aus leicht brennbarem Kunststoff gefertigt zu haben. Ein Unternehmen steht unter dem Verdacht, elektrische Bestandteile der Bahn fahrlässig angeliefert zu haben.
Problematische Akteneinsicht
Das Gericht muss sich nun aber auch mit eigenen Fehlern herumschlagen. Der renommierte Salzburger Rechtsanwalt Jürgen Hinterwirth rügt, dass das Landesgericht einen, seiner Ansicht nach schwer wiegenden Fehler begangen hat. "Das Gericht hat den Gletscherbahnen, aus deren Reihen nun selbst Mitarbeiter unter Verdacht stehen, aufgrund eines Verfahrensfehlers volle Akteneinsicht gewährt."
Dadurch, so der Anwalt, "konnten sich die heute Verdächtigten einen immensen taktischen Vorteil verschaffen. Sie waren ständig über die nächsten Ermittlungsschritte informiert und wussten immer, welche Untersuchungen gemacht werden." Laut jüngster Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes ist aber genau das nicht erlaubt: Denn solange nur gegen unbekannte Täter ermittelt wird – wie eben bis vor einer Woche in der Causa Kaprun –, besteht kein rechtswirksamer Privatbeteiligten-Anschluss. Und damit keine umfasende Akteneinsicht.
Andreas Kuba