salzburg.orf.at
19. Juli 2002
Sommerpause bis September
Heute geht der Prozess um die Gletscherbahnkatastrophe von Kaprun in die Sommerpause. Fünf Wochen ist bereits verhandelt worden, Mitte September wird das Verfahren um das Unglück mit 155 Toten fortgesetzt.
Zwei Wochen voller Überraschungen
Nachdem die ersten Prozesswochen eher ruhig verlaufen waren, kamen in den letzten 14 Tagen die Überraschungen zuhauf: unbekannte Akten, überraschende Zeugen, Anzeigen von Anwälten gegen Anwälte.
Beginn ohne Aufregung
Ohne die vorhergesagte Aufregung war sie Mitte Juli gestartet, die gerichtliche Aufarbeitung der Gletscherbahnkatastrophe vom November 2000.
Kein Aufstand der Hinterbliebenen wegen zu weniger Plätze im Gerichtssaal, keine Beschimpfungen, keine Beleidigungen an die Adresse der 16 Beschuldigten. Diese sehen sich - wenig überraschend - allesamt unschuldig an dem Brand. Und reichen dabei die Verantwortung immer an den Nächsten weiter. In diesem Kompetenzwirrwarr die Wahrheit zu finden und ein Urteil zu fällen ist keine leichte Aufgabe für Richter Manfred Seiss. Dieser führt das Verfahren souverän und fair.
Ed Fagan will Prozess in den USA
Größter Aufreger zu Anfang des Verfahrens war die Nominierung des US-Anwalts Ed Fagan als Zeuge, daraufhin musste dieser den Gerichtssaal verlassen.
Dieses normale Prozedere nach österreichischer Strafprozessordnung nützten Fagan und dessen deutscher Anwaltspartner Michael Witti nun zu Schmutzkübelkampagnen gegen die österreichische Justiz.
Das Ziel der beiden scheint klar: um jeden Preis einen Prozess um Schadenersatz in den USA zu erreichen. Auch um den Preis aus der Luft gegriffener Anschuldigungen.
"Heizlüfter lief nicht während der Fahrt"
Beim Kaprun-Prozess wurde am Donnerstagabend ein Mitarbeiter der Gletscherbahnen über den Heizlüfter befragt, der den Brand in der Seilbahn ausgelöst haben soll. Der Heizlüfter sei während der Fahrt nicht gelaufen, sagte der Mitarbeiter.
"Habe den Lüfter immer ausgeschalten"
Am Abend, nach seiner Revisionsfahrt, habe er den Heizkörper im Führerstand jedes Mal direkt unten am Gerät ausgeschaltet. "Der Maschinist hat mich jedes Mal gefragt, ob ich ihn abgedreht habe, sonst wäre er ja die ganze Nacht durchgelaufen", bestätigte der Mann.
Während der Fahrt sei der Heizlüfter nicht gelaufen, in der Station habe er sich automatisch wieder eingeschaltet.
Kommunikationsvorrichtung unüblich
Ein Seilbahntechniker der Firma Siemens bestätigte, dass der Heizlüfter in den Stationen über das Stromnetz gespeist wurde.
Elektrotechnisch gebe es keinen Unterschied, wenn der Heizkörper nicht am Pultschalter des Führerstandes, sondern am Gerät selbst ausgeschaltet werde.
Eine Kommunikationsvorrichtung zwischen Führerstand und Fahrgastraum sowie eine Videoüberwachung war zum damaligen Zeitpunkt bei Standseilbahnen nicht üblich. Das Gefahrenbild "Brand" sei auch nicht erkennbar gewesen, erklärte der Seilbahntechniker.
"Organisatorische Probleme"
Im Jänner 1999 hatte die GBK bei der Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen eine kostenlose Präventionsbetreuung von Sicherheitsfachkräften beantragt.
Warum die Begehung erst im Dezember 2000, also nach dem Unglück stattfand, wollte Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat von einem Juristen der Versicherung, der bisher noch nicht einvernommen worden war, wissen.
Der Zeuge: "Es gab organisatorische Probleme, um Sicherheitsfachkräfte zu rekrutieren". Die Gletscherbahnen Kaprun würden keine Schuld an dieser Verzögerung nehmen.
Reaktionen:
linzlandler, vor 22h 48min
Sarkastische Meldungen sind offenbar nicht erwünscht im ORF-Forum. Ich frage mich allerdings warum es so abwegig ist, darüber zu Diskutieren, warum jetzt auf Biegen und Brechen ein Bauernopfer gefunden werden muss. Unabhängig davon war/ist es sicher eine Tragödie für die Bekannten und Verwandten der Opfer!
Stimmt genau
obstbau, vor 0min
die Tragödie ist passiert! Die Ursache muß (wenn das noch möglich ist) gesucht werden. Aber ein Bauernopfer um jeden Preis hilft Keinem!! Bringt nur noch mehr Kummer.
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Salzburger Nachrichten
Im Kaprun-Prozess erste Runde beendet
19. Juli 2002
Unvermutet aufgetauchte kriminaltechnische Unterlagen und Strafanzeige gegen Anwälte lösten Überraschung aus.
SALZBURG (SN, APA). Die erste Prozess-Runde um das Seilbahnunglück vom 11. November 2000, bei dem 155 Menschen bei der Fahrt auf das Kitzsteinhorn ums Leben kamen, ging am Freitag mit Zeugeneinvernahmen im Salzburger Kolpinghaus zu Ende. Am 10. September wird das Verfahren fortgesetzt. Es werde allerdings nur mehr drei Tage pro Woche verhandelt, kündigte Richter Manfred Seiss an.
Während der 19 Verhandlungstage lösten vor allem elf Aktenordner und eine Schachtel mit Foto- sowie Videomaterial, die vor einer Woche von einem Beamten der Kriminaltechnischen Zentralstelle (KTZ ) beim Lokalaugenschein und der zweitägigen Verhandlung in Linz vorgelegt worden waren, besondere Aufregung aus. Schwere Vorwürfe wurden gegen das Innenministerium erhoben, der Chef der KTZ wurde vom Dienst suspendiert.
Die 16 Angeklagten erklärten unisono, sie seien unschuldig. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe fielen entweder nicht in ihre Kompetenz oder träfen gar nicht zu. Während des Prozesses wurden Fragen der Privatbeteiligtenvertreter von den Beschuldigten bisher nicht beantwortet.
Die meisten geladenen Zeugen hatten ausgesagt, bei der Gletscherbahnen Kaprun AG (GBK) sei alles ordnungsgemäß abgelaufen. Revisionen seien durchgeführt worden - überhaupt sei alles ziemlich normal gewesen. Eine Zeugin hatte allerdings am Donnerstag gegen die GBK schwere Vorwürfe erhoben: "Die Chefs lügen", wenn sie behaupteten, dass die Revisionen der Bahn immer ordnungsgemäß durchgeführt worden seien, sagte sie.
Schon am ersten Prozesstag hatte es einen Wirbel um US-Anwalt Ed Fagan gegeben, der nach eigenen Angaben mehr als 120 Angehörige von Opfern vertritt. Er war als Zeuge nominiert worden, was Richter Seiss auch zuließ. Als der amerikanische Advokat daraufhin - so wie es jeder andere Zeuge auch tun muss - den Gerichtssaal verlassen musste, gab es vor allem unter den Hinterbliebenen ziemlich lautes Murren.
Im Namens der GBK wurde unterdessen eine Strafanzeige gegen Fagan, seinen deutschen Kompagnon Michael Witti und unbekannte Mittäter wegen "Prozessbetruges" bei der Staatsanwaltschaft angekündigt. Witti bat seinerseits den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder um Hilfe, weil es einen "mangelnden Rechtsschutz deutscher Staatsbürger in der Republik Österreich" gebe. Justizminister Dieter Böhmdorfer bezeichnete das Vorgehen des deutschen Anwalts als "skandalös".
Richter Seiss, der den Prozess - von allen Beteiligten unbestritten festgestellt - bisher souverän geleitet hatte, muss während der Sommerpause alle Verhandlungsprotokolle lesen und die von der KTZ vorgelegten Unterlagen genau durchgehen. Außerdem müssen die Zeugenladungen bis Herbst festgelegt werden.
Eine positive Bilanz zum Abschluss der ersten Verhandlungsphase zogen Richter Manfred Seiss und Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat am Freitag vor Journalisten. Der Vizepräsident des Landesgerichtes Salzburg, Philipp Bauer, lobte das faire, offene und transparente Verfahren.
Die erste Phase sei "sehr gut gegangen", bilanzierte Seiss. "Wir haben sehr viel weiter gebracht." Der Gerichtsakt sei während des Prozesses von 51 auf 56 Bände angewachsen, berichtete der Richter. Dazu kämen die elf Bände der Kriminaltechnischen Zentralstelle. Bisher seien rund 40 Zeugen gehört worden. Die Kosten des Verfahrens konnte Seiss nicht beziffern. Vor Beginn des Prozesses waren sie bei rund zwei Millionen Euro gelegen. "Sie steigen von Tag zu Tag", meinte der Vorsitzende.
Auch Danninger-Soriat zeigt sich zufrieden. "Der Prozess ist zügig vorangeschritten." Die Verhandlung laufe sachlich und diszipliniert ab. "Ich glaube, wir können zufrieden sein."
Er sei froh, dass nach dem großen emotionalen Druck sehr rasch Sachlichkeit eingekehrt sei, erklärte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Salzburg, Helmut Inselsbacher. Die Staatsanwältin habe daran einen großen Anteil. Es sei nicht immer leicht, ein sachliches Verfahren abzuwickeln, weil es einige Vertreter der Geschädigten gebe, die ihren Schwerpunkt außerhalb des Gerichtes sähen. (Im SN/Ratzer-Bild Richter Seiss mit Staatsanwältin Danninger-Soriat)
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Kurier
19.07.2002 11 : 49 Uhr
Der erste Teil des Marathon-Prozesses um die Brandkatastrophe in Kaprun ist geschafft. Sieben Wochen Sommerpause stehen bevor. Für alle Beteiligten bleibt aber wenig Zeit zum Ausspannen. Die ersten Aussagen und neue Beweise müssen eingearbeitet werden.
"Es ist besser gelaufen als erwartet"
Mit dem bisherigen Verlauf ist man am Salzburger Landesgericht zufrieden. "Es ist besser gelaufen als erwartet. Anfangs wurde befürchtet, dass Angehörige das Prozess-Szenario nutzen, um zu stören. Es gelang aber, alles auf eine sachliche Bühne zu stellen", sind sich Richter Manfred Seiss und Philipp Bauer, Vizepräsident des Landesgerichts, einig. Von der Verhandlungsweise von Richter Seiss zeigten sich alle Beteiligten angetan: "Er führt den Prozess auf souveräne Art. Es gab keine Beschwerden ", sagt Bauer.
Prozess hielt Überraschungen bereit
Auch wenn Richter Seiss vor dem Prozess mögliche Szenarien durchgedacht hat, so hielten die vergangenen fünf Wochen Überraschungen bereit. US-Anwalt Ed Fagan wurde als Zeuge beantragt, alle Beschuldigten verweigerten Antworten auf Fragen der Privatbeteiligten, es tauchte neues Beweismaterial der Kriminaltechnischen Zentralstelle (KTZ) auf, Überlebende erschienen nicht zur Zeugenaussage, Anwalt Witti sorgte mit einer eidesstattlichen Erklärung für Wirbel.
Bauer: "Es geht auch um Millionen"
Die taktischen Grabenkämpfe zwischen den Verteidigern und Opfer-Anwälten hielten sich in Grenzen. "Es wurde sehr stark vom Fragerecht Gebrauch gemacht. Die Verteidiger, die hier am Werk sind, sind echte Profis. Es geht auch um Millionen", meint Bauer. Gemeinsam verfolgten die Verteidiger eine einheitliche taktische Linie: Alle verweigerten die Beantwortung der Fragen, alle ließen in unsicherem Licht erscheinen, was bei der Montage der neuen Wagenaufbauten tatsächlich geschehen ist. "Es gibt über wichtige Dinge gegenteilige Aussagen – beispielsweise wann der Heizlüfter eingebaut wurde", sagt Bauer.
KTZ-Material muss aufgearbeitet werden
Über die Schuldfrage wird noch Stillschweigen bewahrt. "Die Gutachter müssen Aussagen von Beschuldigten und Zeugen und das KTZ-Material aufarbeiten."(Bauer) Warum die KTZ-Beamten trotz Aufforderung der U-Richterin nicht ihr gesamtes Material übergeben haben, ist unklar. "Es gibt Bilder, die zwanzig Mal den Tunneleingang zeigen. Aber es gibt auch Fotos, die wir noch nicht kennen", sagt Bauer. Eine Untersuchung des Innenministeriums soll klären, ob Beweise unterdrückt wurden.
Bis Oktober soll es zu schaffen sein
Für Herbst gibt es noch keinen genauen Zeitplan. Es stehen Zeugenbefragungen, die Gutachten-Erörterung und die Befragung der Gutachter aus. Man rechnet mit Anträgen auf neue Gutachter. "Wir haben für das Kolpinghaus eine Option bis Ende Oktober. Bis dahin ist es zu schaffen", sagt Bauer.
Zeugin sorgte für Überraschung
Am Donnerstag sorgte noch eine Überraschungszeugin von Anwalt Hinterwirth für Aufsehen. Die Frau eines ehemaligen Gletscherbahnbediensteten war "aus christlichen Motiven" gekommen. Ihr Mann hätte auf Grund des großen Drucks vor Gericht nicht die volle Wahrheit gesagt. Ihr Mann habe ihr aber erzählt, dass man es nach dem Ausscheiden von Maschinenbauingenieur Roman Huemer mit Revisionen der Bahn und Katastrophenübungen nicht mehr so genau genommen habe.