22.11.2000
Salzburger Nachrichten
Wrack wird abgeseilt
Während die Identifizierung der Opfer vorangeht, wird über die Ursache der Katastrophe von Kaprun weiter gerätselt. Nächster Schritt: Bergung der Wracks.
KAPRUN (SN-gs).
Elf Tage nach dem größten Unglück der Zweiten Republik, bei dem im Tunnel der Standseilbahn in Kaprun 155 Menschen starben, legen Justiz und Exekutive heute, Mittwoch, die weitere Vorgangsweise fest. Kriminalisten nehmen, wie berichtet, einen technischen Defekt als Ursache an. Die genaue Ursache wurde von der Kriminaltechnischen Zentralstelle (KTZ) des Innenministeriums noch nicht entdeckt, meldete die APA unter Berufung auf KTZ-Chef Volker Edlinger. Vermutlich hat dieser noch unbekannte Defekt eine Kettenreaktion ausgelöst. Der Brand brach im hinteren Führerstand aus und wurde möglicherweise durch Hydrauliköl angefacht, als die Bremsschläuche platzten.
Bei der Identifizierung der Opfer in der Salzburger Gerichtsmedizin soll dagegen ein Ende absehbar sein. Nächster Schritt dürfte die Bergung der beiden Garnituren aus dem Tunnel sein. Der Unglückszug soll ins Tal abgeseilt werden.
Die Seilbahnbetreiber bestätigten einen Halt im Tunnel bei einer Bergfahrt am 22. Oktober, bei dem ein junger Salzburger auch Klopfgeräusche gehört hat (SN vom 17. November). Die Klopfgeräusche könnten von einer Wasserpumpe im Tunnel stammen, erklären die Gletscherbahnen Kaprun zu den Augenzeugenberichten.
Gerichtsmedizin Innsbruck fühlt sich ausgebootet
Der Chef der Kriminaltechnik im Innenministerium, Volker Edlinger, erklärte im ORF, der Führerstand der Unglücksbahn sei aus Kunststoff, der bereits bei 200 Grad brenne. Gerhard Haslbauer, Anwalt der Herstellerfirma Swoboda in Gmunden, meinte dazu, der Kunststoff sei schwer entflammbar und von der Behörde genehmigt. Der Flammpunkt sei höher.
Sämtliche Opfer wurden vergangene Woche obduziert. Alle seien "an einer Mixtur aus Kohlenmonoxid und Rauchgasen" erstickt, so Tutsch-Bauer. Die Katastrophe brachte einen unschönen Streit um die Aufarbeitung mit sich. "Wir wären einsatzbereit gewesen und wurden nicht gerufen", sagte der Leiter der Innsbrucker Gerichtsmedizin, Richard Scheithauer. Innsbruck habe als DNA-Zentrallabor für Österreich größere Kapazitäten. Tutsch-Bauer verärgert: "Es wurde aus Innsbruck versucht, über das Innenministerium Einfluss zu nehmen. Bei einer derartigen Katastrophe ist eine zentrale Dokumentation wichtig. Jede Auslagerung hätte zu einer Verzögerung geführt."
Nachts in den Todesstollen
Ein Unbekannter versuchte in der Nacht auf Mittwoch in den Unglücksstollen von Kaprun einzusteigen. Das gibt Rätsel auf.
KAPRUN (SN-heba). In der Nacht zum Mittwoch, gegen 2.15 Uhr früh, versuchte ein Unbekannter in den Unglücksstollen der Kapruner Gletscherbahn einzudringen. Er wurde von Bediensteten des Unternehmens, die von einem Arbeitseinsatz kamen und mit der parallel zur Standseilbahn verlaufenden kuppelbaren Umlaufseilbahn ins Tal fuhren, beobachtet. Die Arbeiter wurden durch den Schein der Taschenlampe auf den Unbekannten aufmerksam.
Warum er nachts durch unwegsames Gelände und über den versiegelten und durch massive Schlösser versperrten Querstollen in den Tunnel wollte, ist unklar. Der mysteriöse Besucher reiht sich aber nahtlos in eine ganze Reihe von Katastrophen-Touristen und Sensationsreporter ein, die seit dem 11. November auf teilweise abenteuerlichen Wegen illegal an den Unglücksort vorzudringen versuchten. Sie wurden alle von der Gendarmerie aufgegriffen.
Für Exklusivfotos bis zu 5 Millionen S geboten
Ein Schweizer TV-Team probierte, als harmlose Bergsteiger verkleidet, den Aufstieg über Niedernsill und das Mühlbachtal. Das war zwei Tage nach dem Unglück. Der Großteil der 155 Toten war damals noch nicht geborgen. Den Schweizern wurde das Filmmaterial abgenommen. Sie konnten nicht bis zum Tunnel vordringen. Um an Fotos aus dem Stollen zu kommen, wurde auch immer wieder versucht, mit den Männern der Einsatzkräfte in Kontakt zu kommen und an deren Namen und Adressen zu gelangen. Ein Oberleutnant des Österreichischen Bundesheeres bekam für "Exklusiv-Material" 5 Millionen Schilling angeboten. Mitarbeiter der Heeresbild- und Filmstelle wurden mehrfach bedrängt. Doch die Front konnte selbst mit extrem verlockenden Angeboten nicht aufgebrochen werden. Vom Bundesheer wurde ausschließlich das Landespressebü-ro Salzburg (LPB) beliefert. Das LPB versorgte wiederum die anwesende in- und ausländische Presse mit neutralem Bild- und Filmmaterial. Zum Nulltarif und ohne Bevorzugung.
Der Zugang zur Talstation der Gletscherbahn ist übrigens nach wie vor Sperrgebiet.
LOKALES - 43/2000 vom 22. November
Augenzeuge des Infernos
Fachinspektor Mag. Rupert Wagner war beim Inferno vom Kitzsteinhorn Augenzeuge des Geschehens
155 Menschen starben im Tunnel zum Kitzsteinhorn. Unter ihnen leider auch der gebürtige Wenigzeller Dr. Franz Lueger sowie seine Söhne Paul und Clemens. Dr. Lueger wohnte in Mogersdorf im Burgenland, wo er eine Arztpraxis betrieb. Auch der 18-jährige Matthias Kirnbauer, Sohn von Dr. Werner Kirnbauer (ein gebürtiger Hartberger), überlebte das Inferno im Tunnel nicht.
Einige Personen, darunter auch Mag. Rupert Wagner aus Penzendorf, hatten an diesem Tag den Schutzengel bei sich, waren aber mehr oder weniger Augenzeugen der Katastrophe.
Seit Jahren leitet Mag. Rupert Wagner als Fachinspektor für Leibeserziehung die Schikurs Begleitlehrerausbildung des Pädagogischen Institutes Eisenstadt im Frühwinter am Kitzsteinhorn. Er selbst ist bestimmt mehr als 50 Mal mit dem "Gletscherdrachen" gefahren. So auch an den Tagen vor der Katastrophe. Am Unglückssamstag nahm er aber um etwa 8.45 Uhr den Weg mit der Gondel und der Sesselbahn, um nicht so lange anstehen zu müssen. "Wären alle zur Standseilbahn gegangen, wären, das ließ sich von den Anstehzeiten ausrechnen, wahrscheinlich zwei Drittel meiner 50 Kursteilnehmer im Unglückszug gestanden!", berichtet ein auch Tage nach dem Unglück noch betroffener Rupert Wagner. Die Kolleginnen aus dem Burgenland waren buchstäblich die letzten Drei, die noch die letzte Bahn vor der Unglücksfahrt erreichten, hinter ihnen stoppte das Drehkreuz.
Als Rupert Wagner oberhalb des Alpincenters begann, alles für den Kurstag vorzubereiten, stieg plötzlich dichter Rauch vom Alpincenter auf. "Man sprach vorerst von einem Brand im Alpincenter, nicht aber von einem Unglück im Tunnel," schildert Rupert Wagner. Seine beiden Snowboardgruppen waren vollständig zum Ausborgen der Boards im Alpincenter erschienen, er und seine Skigruppen bereits oben auf den Magnetkopfliften in Sicherheit, die mit Strom vom Bergrestaurant versorgt werden und klaglos liefen. Daraufhin rief Rupert Wagner seine Frau zuhause an und teilte ihr mit, wenn im Rundfunk irgendwelche Meldungen kämen, seine Gruppen und er seien in Sicherheit. Danach brach auch das
Handynetz zusammen und das Telefonieren war nicht mehr möglich. Mag. Wagner stieg danach zu Fuß zu den Magnetkopfliften auf und leitete wie geplant den Kurs der Skigruppen. Man beobachtete ständig Rettungshubschrauber, hatte aber vom Ausmaß der Katastrophe noch keine Ahnung. Als er mit seinen Gruppen um etwa 13.45 Uhr zum Alpincenter kam, sprach man von drei Toten, fünf Minuten später wurde aber bekannt gegeben, dass möglicherweise 170 Menschen im Tunnel verbrannt seien.
Hilfskräfte begannen nun, alle Anwesenden zu registrieren. Richtung Tal war natürlich ein dementsprechender Stau, Sorge und erste Resignation machten sich unter den Leuten um nicht auffindbare Kollegen, Kinder, Freunde und Ehepartner bereit. Unten angekommen spielten sich ergreifende Szenen zwischen Freud und Leid ab. Alle stürzten sich auf die Listen der Überlebenden, die halbstündlich erneuert wurden. "Zum Glück wurde hier das Überleben aller meiner Kursteilnehmer bestätigt, das Leid war trotzdem auch unter uns. Der Güssinger Pädagoge und Snowboardlehrer Robert Antoni hatte in der Früh einen Kurs für seine vier Güssinger Schüler ausgesteckt. Er wartete am Gletscher aber vergeblich auf sie. Auch die verunglückten Arthur Warias und Dr. Lueger waren uns allen bestens bekannt," schildert Mag. Wagner die dramatischen Ereignisse. Unfassbares Leid war dann auch bei den Gedenkgottesdiensten für die Opfer des Infernos zu spüren.
Mag. Rupert Wagner selbst wird die dramatischen Stunden von Kaprun lange nicht überwunden haben. In regelmäßigen Abständen laufen bei ihm bildhaft die Szenen des Unglücks ab, trotzdem ist er der Meinung, dass die Standseilbahnen grundsätzlich sehr sicher sind und wie im Fall "Gletscherdrache" eine Verkettung negativer Ereignisse zur Katastrophe führten. Er kann auch ein ständig bedrängendes Gefühl in der Bahn nicht leugnen. Zur Zukunft der Bahn meint er, dass sie nach einschneidenden Verbesserungen wie Türöffnungsmöglichkeiten von innen, Licht im Tunnel, Fluchtnischen und vielem mehr, doch wieder fahren wird. Auch er selbst wird mit seinen Gruppen wieder aufs Kitzsteinhorn fahren, weil man bisher mit Kaprun nur die besten Erfahrungen gemacht hat. Die Erinnerung an diese bitteren Stunden vom Kitzsteinhorn werden vor allem an jenen, die zu diesem Ort eine relativ enge Beziehung haben, noch lange nagen.
Zwölf Tage sind seit dem schrecklichen Inferno in Kaprun vergangen. Noch immer konnte die Gletscherbahn aus dem Todestunnel nicht geborgen werden. Und das wird sich auch in den nächsten Wochen nicht ändern. Trotzdem will Kaprun langsam wieder auf "Normalbetrieb" übergehen.
Auf das Werbestopp für die österreichische Winterkampagne, das von Touristikern nach dem Seilbahnunglück in Kaprun beschlossen worden war, könnte eine Informationskampagne über die Sicherheit Österreichs folgen, sagte Tourismus-Staatssekretärin Mares Rossmann am Mittwoch bei einem Pressegespräch in Wien. Aus dem Budget der Österreich Werbung (ÖW)
werde es eine Sondertranche für die gezielte Infokampagne geben. Details dazu sollen bei einem Treffen von Touristikern übernächste Woche geklärt werden.
Österreich ist touristisch nach wie vor gefragt, dies hätten Gespräche mit der Außenstelle der Österreich Werbung in Frankreich ergeben, betonte die Staatssekretärin. Daher gehe sie von einer "guten Wintersaison" aus, alle Buchungen seien bisher aufrecht.
Spendenkonto für Angehörige der Opfer
Das Staatssekretariat für Tourismus habe ein Spendenkonto eingerichtet (Hilfsfonds für Kaprun: Notar-Treuhandbank, BLZ 31 5000, Kontonummer 260/ 01.801.603), mit dem neben den Angehörigen der Opfer auch Tourismus-Betrieben geholfen werde könne, so Rossmann.
Haftungsübernahme durch Bund und Land
"Bund und das Land Salzburg sollen nach der Seilbahnkatastrophe von Kaprun zu gleichen Teilen Haftungen für allfällige Schadensersatzzahlungen der Betreibergesellschaft übernehmen", hat SPÖ-Tourismussprecher Emmerich Schwemlein vorgeschlagen. Als Aufforderung an Anwälte, ihre Schadenersatzverlangen in die Höhe zu schrauben, wollte er dies nicht verstehen: "Wenn jemand mehr fordern will, dann tut er es so oder so. Wir sprechen damit keine Einladung aus."
Wir werden allein gelassen und belogen
Das Bild ging um die Welt. Das Bild von der Frau im blutverschmierten weißen Ski-Overall. Aufgenommen wurde es nur Minuten, nachdem die Frau es geschafft hatte, sich zu retten. Die Frau ist einer von jenen zwölf Menschen, die aus dem brennenden Zug flüchten konnten.
Zehn Tage nach der Katastrophe am Kitzsteinhorn hat NEWS die Frau, deren schmerzverzerrtes Gesicht rund um den Globus auf den Titelseiten der Zeitungen gewesen ist, besucht.
Elaine Mayerhofer, 33, sitzt auf der Couch im Wohnzimmer ihres Einfamilienhauses in Vilseck, einer Kleinstadt in der Oberpfalz. Schützend hält Ehemann Roland, 33, seinen Arm um ihre Schulter. Doch immer wieder fängt die Frau zu weinen an: "Es ist alles so schrecklich."
Flucht vor dem Feuer
Am Tag vor dem Unglück war das Paar mit 28 weiteren Mitgliedern des Skiclubs Vilseck nach Kaprun gekommen. "Es ist", sagt die gebürtige Brasilianerin, "mein erster Ausflug in die Berge gewesen." Die Gruppe wollte den Wochenendtrip ausnutzen, "am Samstag sind wir gleich frühmorgens zu der Seilbahn gegangen. Kurz vor 9 Uhr bestiegen wir den Zug." Kurze Zeit später begann der Alptraum. Der Zug blieb stehen: "Wir bemerkten den Rauch. Er kam aus der rechten Seite der Führerkabine. Wir hörten Kabel zischen. Und wir wussten: Wir müssen raus hier, schnell ."
Doch die Türen ließen sich nicht öffnen, "nirgendwo", schluchzt Elaine Mayerhofer, "war ein Hammer." Mit ihren Skiern begann sie, auf ein Fenster einzuschlagen: "Es dauerte ewig, bis es endlich brach." Die Frau stürzte kopfüber aus dem Zug, ihr Mann sprang nach: "Wir drehten uns um, suchten nach unseren Freunden. Aber der Rauch war so stark - wir konnten nichts sehen."
Roland Mayerhofer: "Ich rief nach Karl, meinem Bruder, und nach meiner Nichte Barbara." Es kam keine Antwort. "Wir liefen instinktiv los, in Richtung Tal. Irgendwann war die Tunnelöffnung vor uns, zuerst war sie nur so groß wie eine Geldmünze, dann kamen wir immer näher - irgendwann waren wir endlich in Freiheit." Am Tag nach dem Unglück fuhr das Ehepaar wieder heim, nach Deutschland. Allein, in einem Privatauto. 20 ihrer Reisegefährten sind bei dem Unglück gestorben - auch ihre beiden Verwandten.
Die Mayerhofers empfinden nun "schreckliche Wut": auf die Verantwortlichen der Bahn. Und sie sagen, dass "es schwierig ist - das Weiterleben. Nach solch einer Katastrophe."
Experten: "Derzeit zu gefährlich"
Nach wie vor steht nicht fest, was genau die Brandkatastrophe in Kaprun ausgelöst hat. Die Experten ermitteln. Die ausgebrannte Kitzsteinhornbahn könnte Klarheit über die Ursache der Katastrophe bringen. Die Bergung gestaltet sich aber äußerst schwierig.
Durch den Brand ist der Tunnel derart beschädigt, dass sich Gesteinsbrocken aus der Wand lösen könnten. Eine Bergung wäre daher zu gefährlich, hieß es am Mittwoch bei einem Treffen zwischen Experten und Ermittlern in Salzburg.
Bergung der Standseilbahn
Das Wrack der Standseilbahn inklusive Schienen soll - ohne dass irgendetwas bewegt wird - unverändert ins Tal gebracht werden. Die Untersuchungsrichterin wurde beauftragt zu erkunden, ob das technisch machbar sei und ob es ein Unternehmen gebe, das dies durchführen könne. Dann soll das Wrack an einen witterungsgeschützten Ort gebracht werden, der dann bewacht werde, so Grafinger.
Die Untersuchung des Wracks könnte Klarheit über die Ursache der Katastrophe bringen.
Ed Fagan: "Baugleiche Seilbahnen stoppen"
US-Anwalt Ed Fagan kündigt an, per einstweiliger Verfügung einen "Stopp aller baugleichen Seilbahnen in Österreich" erwirken zu wollen.
Der New Yorker Advokat will nach der Brandkatastrophe von Kaprun nicht nur die am Bau der Seilbahn beteiligten Firmen, sondern auch die Republik Österreich in die Pflicht nehmen. Fagan: "Die Leute sind wütend und wollen nicht, dass weitere Menschen einer Gefahr ausgesetzt sind."
Schon demnächst will Fagan auch für die unmittelbar vom Unglück betroffenen Opfer tätig werden: "Ich werde im Southern District von New York und gleichzeitig in Österreich Klagen einbringen." Betreff Höhe der Entschädigung spricht Fagan selbst von "astronomischen Summen". Für alle 155 Opfer der Katastrophe könnte es eine Vergleichssumme von "gut 3 Milliarden Dollar" geben.