salzburg.orf.at
25. November 2000
Identifizierung der Opfer fast abgeschlossen
Zwei Wochen nach dem Unglück am Kitzsteinhorn sind nun bereits 140 der 155 Opfer identifiziert. 36 Gerichtsmediziner, Kriminalisten und Laboranten haben rund um die Uhr an der Idtifizierung gearbeitet.
Obduktionen nach vier Tagen abgeschlossen
Die zum Teil schwierigen Arbeiten gingen schneller als erwartet vor sich, berichtet die Gerichtsmedizinerin Edith Tutsch-Bauer.
"Wir konnten sehr rasch obduzieren, es ist uns gelungen, innerhalb von vier Tagen alle Obduktionen abzuschließen und somit Material für die DNA-Analysen gewinnen. Zum anderen wurde uns sehr rasch Vergleichsmaterial von überall aus der Welt zur Verfügung gestellt. Die Angehörigen waren über die Polizei- und Gendarmerieposten gebeten worden, uns Vergleichsmaterial zur Verfügung zu stellen und dies ging sehr rasch. Das ist sicher mit ein Grund, warum wir bereits heute einen Großteil der Opfer identifiziert haben", so Tutsch-Bauer.
"Rascher Abschluss"
Der Transport der identifizierten Opfer in ihre Heimat hat bereits am Feitag mit der Überstellung eines verunglückten Japaners nach Wien begonnen. Major Franz Lang von der Kriminalabteilung der Gendarmerie rechnet mit einem raschen Abschluss der Überstellungen.
"Bei den bereits identifizierten Verunglückten wird jetzt die Staatsanwaltschaft verständigt, die sie freigibt, dann können wir sie den Verwandten übergeben. Das wird jetzt sehr schnell gehen", so Lang.
Kaprun, 14 Tage später:
"Das Leben wieder aufnehmen"
Nach der Katastrophe in Kaprun tritt in der 3000-Seelen-Gemeinde langsam wieder der Alltag in den Vordergrund. Anfang Dezember sollen die Lifte auf dem Kitzsteinhorn wieder aufsperren.
Von unserer Korrespondentin CLAUDIA LAGLER
SALZBURG. "Aufgrund des tragischen Unglücks vom 11. November ist derzeit kein Skibetrieb auf dem Kitzsteinhorn. Die Bahnen und Lifte werden frühestens am 1. Dezember wieder geöffnet." Potentielle Wintersportler, die bei der Telephon-Hotline der Gletscherbahnen Kaprun nachfragen, wann die Lifte auf dem Kitzsteinhorn denn wieder aufsperren, werden derzeit noch vertröstet. Doch die Pinzgauer Gemeinde setzt alles daran, daß nach der Brandkatastrophe in der Stollenbahn, bei der vor genau zwei Wochen 155 Menschen ums Leben kamen, der Skibetrieb am Gletscher so bald wie möglich wieder in Gang kommt. "Nach der Trauerphase ist es ein Gebot der Menschlichkeit, daß man das Leben wieder aufnimmt", sagt Bürgermeister Norbert Karlsböck (SP) im Gespräch mit der "Presse". Immerhin arbeiten etwa zwei Drittel der Kapruner direkt oder indirekt im Tourismus, die Wintersaison ist das wichtigste wirtschaftliche Standbein für den Ort. Da muß auch angesichts der Trauer um die 155 Opfer wieder an die Zukunft gedacht werden. Im Ort selbst ist es ruhiger geworden. Der Alltag tritt langsam wieder in den Vordergrund. Es gebe viele Anrufe, wann es mit dem Skibetrieb wieder losgehe. Schließlich sei das Gletscherskigebiet mangels Schneefällen die einzige Ski- und Snowboardmöglichkeit im ganzen Pinzgau, weiß der Bürgermeister. Man müsse mit allem Respekt vor den Opfern und deren Angehörigen auch die wirtschaftlichen Dinge wieder in den Griff bekommen, meint der Fremdenverkehrsdirektor von Kaprun, Hans Wallner. Ihm ist vor allem daran gelegen, das Vertrauen in das Gletscherskigebiet wieder aufzubauen. Er rechnet schon jetzt mit Einbußen von zehn bis 15 Prozent im Wintertourismus, eine größere Stornowelle nach der Katastrophe habe man aber in Kaprun nicht verzeichnet. Ganz im Gegenteil: Es gebe sehr viel Solidarität.
Der Start der Skisaison sei unabhängig von der Bergung des Wracks der Unglücksbahn aus dem Stollen. Das bestätigt auch der leitende Staatsanwalt Herwig Scharmüller im Gespräch mit der "Presse". Experten hätten ihm versichert, daß jenes Versorgungskabel im Stollen, das für den Betrieb des Alpincenters auf dem Kitzsteinhorn notwendig ist und das bei der Brandkatastrophe ebenfalls zerstört worden war, repariert werden könne, ohne die Spuren für die Ermittlung der Unglücksursache zu zerstören. Mit den Arbeiten wurde bereits begonnen. Es geht dabei um die Wasser- und Stromversorgung für das Alpincenter, das in den vergangenen Monaten mit Millionenaufwand modernisiert und zu einer Erlebnisgastronomie umgewandelt worden ist. Das Alpincenter hätte ursprünglich an diesem Wochenende mit einem großen Fest eröffnet werden sollen, aufgrund des Unglücks wurde das Event abgesagt. Das Wrack selbst werde kaum vor Jahresende aus dem Stollen geborgen werden können, glaubt Scharmüller. Für die komplizierte Bergung muß erst eine Spezialfirma ausfindig gemacht werden. Rasche finanzielle Hilfe soll es jedenfalls für die Angehörigen der Opfer der Brandkatastrophe geben. Vertreter des Landes, der Gemeinde Kaprun, der Gletscherbahnen sowie deren Versicherung haben vereinbart, noch vor Weihnachten Geld an die Hinterbliebenen auszubezahlen.
Auch für die Gemeinde will Landeshauptmann-Stellvertreter Gerhard Buchleitner (SP) Mittel zur Verfügung stellen, um Investitionsvorhaben fertigstellen zu können. Auch ein Signal, daß es in dem von der Katastrophe heimgesuchten Ort irgendwie weitergehen muß.
Gerichtsmedizinerin: Menschen starben schnell
Die Identifizierung jener 155 Menschen, die bei der Brandkatastrophe am
11. November am Kitzsteinhorn in Kaprun ums Leben kamen, wird morgen abgeschlossen sein.
Das sagte die mit den DNA-Analysen der Opfer betraute Gerichtspathologin Edith Tutsch-Bauer. Die in der Seilbahn und im Tunnel Eingeschlossenen hätten nicht lange leiden müssen: Durch das Kohlenmonoxid und die Rauchgase seien sie in kürzester Zeit bewusstlos geworden, so Tutsch-Bauer.
Bis Samstag habe man 147 Leichen identifiziert, heute weitere vier. Verzögerungen habe es bei den letzten Opfern gegeben, weil das Vergleichsmaterial teilweise unzureichend war, sagte die Gerichtsmedizinerin. "Ich bin zufrieden, dass wir die Identifizierung nun geschafft haben. Wir haben in Schichten gearbeitet, wobei eine bereits um 3.30 Uhr angefangen hat und die andere bis 23.30 Uhr tätig war."
Wichtig sei die Identifikation auch für die Angehörigen, die teilweise so unter Schock standen, dass sie die übermittelte Verständigung einfach nicht wahrnehmen wollten. Nun können auch zivilrechtliche Ansprüche abgeklärt werden.
Für Tutsch-Bauer ist die Arbeit aber noch nicht beendet. 155 Sektionsprotokolle, DNA-Analysen und ein abschließendes Gutachten müssen noch erstellt werden. Daneben muss auch noch die "normale" Arbeit gemacht werden.
Ein wenig belastet haben die Gerichtsmedizinerin teilweise Angriffe seitens der Medien gegen alle am Einsatz Beteiligten oder von der Universitätsklinik Innsbruck. "Ich arbeite gerne mit Leuten zusammen, die ich kenne. Außerdem bin ich von meiner langjährigen Tätigkeit in München gewohnt, Strapazen auf mich zu nehmen", sagte Tutsch-Bauer.
Opfer sprang für Sportkollegen ein
Die triste Novemberstimmung in Reichenau an der Rax im südlichen Niederösterreich ist fast greifbar. Am Gemeindeamt flattert eine schwarze Fahne im Wind. Regentropfen klatschen gegen die Fensterscheiben. Bei der Katastrophe am Kitzsteinhorn ist auch eine 23-jährige Studentin aus dem Ortsteil Edlach ums Leben gekommen. Ironie des Schicksals: Die begeisterte Sportlerin Simone Wildenauer hätte gar nicht nach Kaprun fahren sollen. Erst am Freitag ist die geprüfte Skilehrerin für einen verhinderten Kollegen eingesprungen und freute sich auf ein weißes Trainings-Wochenende mit der Snowboard-Gruppe.
Gemeinsam mit ihrem Freund Arthur Warias, dem burgenländischen Snowboard-Landesmeister aus Pinkafeld, kam die Sport- und Französisch-Studentin in der Flammenhölle im Tunnel um.
Die Eltern von Simone sind gebrochene Menschen. Das Schicksal hat ihnen zweiten Mal ein Kind geraubt. Bereits vor rund 30 Jahren starb ihre erste Tochter im Alter von acht Monaten an einer Infektion. Als sie am Samstag von der Tragödie erfuhren, brachen sie sofort nach Kaprun auf. Doch ihre Hoffnung, ihr geliebtes Kind unter den Überlebenden zu finden, wurde enttäuscht. Die Angst um Simone wurde nach und nach zur tödlichen Gewissheit.
"Ihre Eltern haben mit der Simone so viel vorgehabt. Sie war so ein fröhlicher, fleißiger Mensch", erinnert sich eine Nachbarin mit Tränen in den Augen. In der kleinen Siedlung, in der das Elternhaus von Simone steht, ist tiefe Trauer eingezogen. "Das Dirndl war ja oft in Wien und hat so brav studiert. Erst vor kurzem ist sie mit ihrem Freund gekommen. Das war so ein fesches Paar", sagt die Nachbarin.
Trauer herrscht auch im Wintersportclub Payerbach, für den Sabine zahlreiche Rennen gewann. "Sie war eine unserer besten Fahrerinnen. Es ist unfassbar, was da passiert ist", sagt Obmann Johann Karner, der die Studentin von klein auf kannte. Auch ihre Freundin Katrin Tüchy aus Reichenau hat tiefe Ringe unter den Augen. "Wir haben so viel gemeinsam unternommen und erlebt", erzählt die Angestellte mit leiser Stimme.
Die schwarze Fahne wird noch länger im Ort hängen.