Salzburger Nachrichten
7. November 2001

Kaprun: 100.000 S "seelisches Schmerzensgeld" für nahe Angehörige

Generali: Ansprüche in Höhe von 220 Mill. S durch Betriebshaftpflichtversicherung gedeckt.

SALZBURG (SN, APA). Die Gletscherbahnen Kaprun AG hatte bei der Generali eine Betriebshaftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme von 320 Mill. S (23,26 Mill. Euro) abgeschlossen. "Aus heutiger Sicht wird dieser Betrag für die Ansprüche der Verletzten und Angehörigen der Opfer entsprechend dem österreichischen Schadenersatzrecht ausreichen" hieß es am Mittwoch in einer Aussendung der Generali Versicherung. Derzeit steht Generali mit nahen Angehörigen von Opfern in Kontakt, wobei es um die Auszahlung von je 100.000 S (7267 Euro) "seelisches Schmerzengeld" geht.

Bisher wurden bereits mehr als 30 Mill. S (2,18 Mill. Euro) ausbezahlt, wobei es sich um Überführungs-, Begräbnis- und Sachkosten sowie um Unterhaltszahlungen handelte. Mit geschätzten 220 Mill. S (15,99 Mill. Euro) würden die laufenden Unterhaltszahlungen an die Hinterbliebenen den größten Anteil an der Versicherungsleistung ausmachen. Bei geklärten Ansprüchen laufen die Zahlungen bereits.

Was die Auszahlung von je 100.000 S "seelisches Schmerzengeld" an nahe Angehörige der Opfer angeht - insgesamt kamen am 11. November des Vorjahres 155 Menschen ums Leben -, so handle es sich hier um "rechtliches Neuland", wie der Versicherer betont, weshalb "umfassender Informationsbedarf gegeben ist". Generali rechnet mit drei bis fünf nahen Angehörigen, also mit 300.000 bis 500.000 S pro Opfer.

Für die Höhe des Angebotes habe man einerseits "die spärliche Rechtsprechung, andererseits die Entwicklung in Deutschland etwa nach dem Zugsunglück von Eschede" herangezogen. Beim Fall Eschede beispielsweise seien pro Opfer 30.000 DM (rund 210.000 S bzw. 15.261 Euro) bereitgestellt worden, "ein Betrag, der durch das Modell der Generali somit in der Regel übertroffen wird".

Das Versicherungsunternehmen wickelt die Ansprüche der Hinterbliebenen ausschließlich nach österreichischem Schadenersatzrecht ab. "Rechtsexperten in den USA und in Europa sind davon überzeugt, dass für das Kapruner Gletscherbahn-Unglück österreichisches Recht anzuwenden ist und für mögliche Verfahren die österreichischen Gerichte zuständig sind. Für Verhandlungen mit US-Anwälten besteht kein Mandat", heißt es in der Aussendung.

© SN

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kleine.zeitung
7.11.2001

 

 

"Trauerarbeit" in Kaprun - ein Lokalaugenschein

110 Angehörige von 36 Opfern nutzten das therapeutische Betreuungsangebot, das unter anderem in einer Begehung der Unfallstelle bestand.

Es ist dunkel. Kalt. Zugwind ist zu spüren. Die rußig-schwarze Tunnelröhre ist übersät mit Nummern, jede einzelne eine Markierung sichergestellter Beweismittel. An der rechten Tunnelwand finden sich kleine silberne kreuzartige Gedenktafeln, ein jedes mit einem Namen versehen, die meisten mit einer Kerze erleuchtet. Im Tunnel der Standseilbahn von Kaprun exakt dort angebracht, wo der jeweilige Träger des Namens am 11. November 2000 sein Leben verlor. Ein Lokalaugenschein über die Trauerarbeit in Kaprun.

Entlastung. Es ist eine beklemmende, zugleich aber fast feierliche Atmosphäre, die bei praktisch allen Hinterbliebenen letztlich Gefühle der Entlastung und Befreiung ausgelöst hat, wie der Schweizer Paar- und Familientherapeut Peter Fässler-Weibel schildert. Sechs Begehungen hat der Experte, der beispielsweise auch die Hinterbliebenen der beim Massaker von Luxor Getöteten bei ihrer Trauerarbeit unterstützt hat, bereits durchgeführt; eine siebente mit einer Gruppe von neun japanischen Angehörigen soll noch folgen. Insgesamt werden dann 110 Hinterbliebene von 36 Opfern das von Generali, dem Versicherer der Gletscherbahnen AG, finanzierte Betreuungsangebot Fässler-Weibels wahrgenommen haben. 70 der 110 waren auch im Tunnel.

check. Die Sicherheitsvorkehrungen, die der Therapeut für die Tunnelbegehungen trifft, sind durchaus aufwendig. So verlangt er ein EKG und einen Lungenfunktionstest, sind doch von der Talstation bis zum Tunnelportal 1.500 Stufen zu bewältigen, von dort bis zur Unglücksstelle dann noch einmal so viel. Ehe die Angehörigen den Tunnel durch einen Querstollen bei der Mittelstation verlassen können, geht es erneut über 2.000 Stufen, insgesamt sind 800 Höhenmeter zu überwinden.

Gesichert. Bei der Begehung selbst werden jeweils zwölf bis maximal 18 Personen mitgenommen, die wiederum von zwei Notärztteams, vier Psychologen, zwei Bergführern, zwei Bergrettern und zwei Mitarbeitern der Gletscherbahnen begleitet werden. Jeder Angehörige wird doppelt mit Seil gesichert, einmal wegen der Absturz- das zweite Mal "wegen der Suizidgefahr", so Fässler-Weibel.

Trost. Was allen Betroffenen besonderen Trost bringt, ist die medizinische Aufklärung, die ihnen Ärzte vor der Begehung zum Thema "Kohlenmonoxidvergiftung" - und damit der Todesursache aller 155 Opfer - geben: Die bei der Obduktion zu Tage getretenen "exorbitanten Kohlenmonoxid-Werte" belegen klar, dass alle Opfer binnen kürzester Zeit - "nach drei, vier Schnaufern", so eine Notärztin ergänzend - das Bewusstsein verloren haben, also nicht leiden mussten.

Erstickt. Dass die Angehörigen in Presseberichten immer wieder lesen mussten, ihre Lieben wären am 11. November 2000 "elendiglich erstickt" - also bei vollem Bewusstsein qualvoll umgekommen -, sei nicht nur nicht wahr, sondern habe bei vielen auch zu einer "unnötigen Traumatisierung" geführt, kritisiert der Therapeut. "Das war ein ganz, ganz kurzer Prozess." Nachsatz: Auch wenn dies "gewisse Anwälte aus materiellen Gründen" nicht respektieren wollten.

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