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5. September 2001

Kontroverse Gletscherbahnen - Justiz
Einen Tag vor der Information der Angehörigen über die Ursache der Brandkatastrophe von Kaprun kommt es zu einer Auseinandersetzung: die Vertreter der Gletscherbahnen dürfen bei der Veranstaltung nicht dabei sein.

Ausschluss für Gletscherbahnen
Die Untersuchungsrichterin, Charlotte Rohan- Achammer, hatte den Vertretern der Gletscherbahnen Kaprun nicht erlaubt, bei der Veranstaltung am Donnerstag in Linz dabei zu sein.

Gletscherbahnen-Sprecher Harald Schiffl bezeichnete diese Vorgangsweise als rechtswidrig und wandte sich in einem Brief an Justizminister Dieter Böhmdorfer. Das Ministerium wiederum spielte den Ball nach Salzburg - es sei Sache des Landesgerichts und der Landesgerichtspräsident würde eine richtige Entscheidung in dieser Sache treffen, hieß es aus dem Ministerium.

Landesgerichtspräsident Walter Grafinger traf diese Entscheidung am Mittwochvormittag: der Protest der Kapruner Gletscherbahnen gegen ihren Ausschluss blieb wirkungslos.

"Keine Stellungnahmen, nur Information"
"Es werden morgen keine Stellungnahmen zu Verantwortlichkeiten getroffen. Es soll wirklich nur eine reine Information der Angehörigen und der Öffentlichkeit geben, ohne dass irgendwelche Beteiligte ihre Standpunkte darbieten", so Grafinger zu seiner Entscheidung.

Den Gletscherbahnen werde "nichts genommen, ab Freitag haben die Privatbeteiligten uneingeschränkte Einsicht in die Gutachten", beruhigte Grafinger weiters. Bei den Informationsveranstaltungen am
Donnerstag "soll nicht inhaltlich diskutiert werden", ins Detail zu gehen wäre angesichts des Umfangs der Gutachten - immerhin 1.700 Seiten - auch gar nicht möglich.

Trotz der Klarstellung des Gerichtspräsidenten bleiben die Gletscherbahnen bei ihrer Kritik an der Vorgangsweise.

Pressekonferenz in Salzburg
Während die Medien bei einer Pressekonferenz in Salzburg die Ergebnisse der Gutachten zum Hergang des Unglücks erfahren, werden die Angehörigen in jener Linzer Voest-Halle informiert, in der die ausgebrannte Unglücks-Zugsgarnitur für die Sachverständigen aufgebaut wurde.

Damit würde "denen, die das wollen, die Möglichkeit gegeben, sich das anzuschauen", so Grafinger.

 

Reaktionen:

sonderbare auffassung
von kommunikation. sollten nicht "information der angehörigen" nennen, sondern eher "antreten zur belehrung". im mittelalter unterm landesfürsten oder beim militär gehts so zu, aber...

geh, wos du do zsomschreibst!
wia mechst des denn sunst nennen? san die angehörigen vielleicht sachverständig oder gutachterlich? do würde de info für jeden zur belehrung!

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news vom 5. September 2001

Die tödlichen Fehler

Kaprun. Das Inferno mit 155 Toten ist geklärt.

DAS KATASTROPHEN-GUTACHTEN.

Ein defekter Heizlüfter, Holzbretter gegen Zugluft & Kabinen aus Kunststoff führten zum Inferno. Die noch mögliche Rettung wurde versäumt.
Selten ist die Ursache für den Tod von 155 Menschen so banal wie beim Inferno von Kaprun, dem größten Drama der 2. Republik: Weil den Zugführern des "Gletscherdrachen" sowie der "Kitzsteingams" immer kalt war, wurde ein Heizlüfter eingebaut und die Bodenplatte zusätzlich mit Holzbrettern ausgelegt, wegen der Zugluft.
Und weil die Gletscherbahnen beim Umbau im Jahre 1994 einen futuristischen Zug mit abgerundeten Führerkabinen wollten und keine "viereckige Kiste", wurden diese eben aus glasfaserverstärk tem Kunststoff hergestellt, weil sich dieser leicht biegen lässt.
• Der Heizlüfter - ein billiges Gerät, das weder feuerresistent noch für den Einbau in den Zug geeignet war - lief aufgrund eines Defektes heiß und fing Feuer. Die Flammen fraßen sich durch die - nachträglich und illegal eingebaute - Holz-Dämmung und steckten in weiterer Folge die Hydraulikleitung in Brand, die wiederum aus Kunststoff war.
• Dann traf das zu diesem Zeitpunkt immer noch begrenzte Feuer auf die Kunststorfhaut der Führerkabine, die im Gegensatz zur Aluminium-Beplankung der Passagierkabine leicht entflammbar war und deren Dämmung giftigste Gase produzierte.
1.000 Seiten Wahrheit. Die insgesamt fünf Gutachten, die jetzt dem Landesgericht Salzburg vorliegen, dokumentieren auf mehr als 1.000 Seiten, wie und warum es am Morgen des 11. November 2000 im Tunnel der Gletscherbahn auf das Kitzsteinhorn zum Inferno mit 155 Todesopfern kommen konnte.
• Die Gutacher aus Osterreich und Deutschland kommen in ihren Expertisen zu dem brisanten Schluss, dass erst die Mischung aus Schlamperei, technischen Defekten, Sicherheitsmängeln sowie gravierenden menschlichen Fehlern zur Katastrophe führte.
• Die Gutachten belasten zum einen Herstellerfirmen - etwa den oberösterreichischen Hersteller des Zuges, der sowohl denHeizlüfter als auch die Führerkabine aus glasfaserverstärktem Kunststoff geliefert hat, sowie jene deutsche Firma, deren Hydraulikschläuche aus Kunststoff-Ummantelung gefertigt waren.
• Zum anderen ergibt sich aus den Expertisen, dass auch die zuständige Genehmigungsbehörde, also das Verkehrsministerium, "gravierende Fehler" gemacht hat. Denn schon die Annahme, der Zug könne gar nicht brennen, so die Gutachter, sei grob fahrlässig gewesen. Dies habe bewirkt, dass weder für Brandverhütung noch für die Brandbekämpfung ausreichend Vorsorge getroffen wurde.
So waren die einzigen zwei Feuerlöscher an den Zugenden versperrt, die Türen der Waggons ließen sich von innen nicht öffnen, darüber hinaus gab es weder Notausstiege noch einen Notfallhammer. Der Tunnel war unbeleuchtet, die 180 mitgeführten Leuchtstäbe aus Phosphor, die im Falle einer Evakuierung ausgeteilt hätten werden sollen, waren in einer Metallkiste versperrt, wo sie explodierten, als die ersten Flammen darüber hinweg zogen.
• Und was die Gletscherbahnen selbst betrifft, führen die vom Gericht bestellten Gutachter an, dass die Evakuierung und damit die mögliche Rettung einer viel größeren Zahl an Passagieren versäumt wurde. Der Grund dafür ist eine Betriebsvorschrift: Diese besagt, dass es strengstens untersagt ist, den Zug in Bewegung zu setzen, wenn dessen Türen offen stehen. Diese Anweisung hat es den fünf Mitarbeitern der Bahn, die zum Zeitpunkt des Unglücks im Führerstand der Bergstation zusammeneilten, um die im Tunnel feststeckenden Züge zu ber gen, unmöglich gemacht, die Fahrgäste rechtzeitig aus dem Stollen zu retten. Erst so, sagen die Gutachten, habe sich das zunächst begrenzte Feuer zum größten Drama der Zweiten Republik entwickeln können.
• Als der Zug gegen 9.05 Uhr 2.717 Meter von der Bergstation entfernt zum Stillstand kam, wusste zunächst niemand, was los ist. Also funkte der Wagenbegleiter dem Maschinisten am Berg: "Warum habt ihr denn abgeschaltet?" Der entgegnete überrascht: "Ich habe von dir ein HALT bekommen." Daraufhin blickte Siegfried Schwabi aus dem Zug und sah, dass aus dem untersten Abteil erste Flammen schlugen. Sofort setzte er den Funkspruch "Hilfe, wir brennen" ab.
• Worauf Maschinist Manfred Aigner die Anordnung erteilte, dass sofort "die Wagentüren zu öffnen" seien. Der Betriebsleiter überlegte indes, "wie der brennende Zug aus dem Tunnel zu bekommen" sei. Unmittelbar darauf fiel auch die Sprechverbindung zum Zug aus, niemand wusste, ob die Türen tatsächlich geöffnet wurden. Und keiner traute sich, den Zug entgegen der Betriebsvorschrift aus dem Tunnel zu ziehen, ein Manöver, das im Normalbetrieb unzählige Male durchgerührt wurde.
• Seit dem Stillstand des Zuges, heißt es in der Aussage des Betriebsleiters, waren nun "rund 10, vielleicht bis zu 15 Minuten vergangen", in denen nichts geschah. Der letzte registrierte Funkspruch aus dem oberen Zug lautete: "Tut was, wir ersticken."
• Das Gutachten führt auch an, dass im Tunnel eine verheerende Kaminwirkung herrschte, nicht zuletzt deshalb, weil die Schleusentore entgegen dem Normalbetrieb zum Zeitpunkt des Unfalls offen standen.
Das Landesgericht Salzburg muss nun klären, gegen welche Personen aufgrund der Gutachten Anklage erhoben wird.
ANDREAS KUBA •


1. Der Heizlüfter
Der nachträglich eingebaute Heizlüfter, geliefert von der Firma Swoboda, installiert von Bahnmitarbeitern. lief aufgrund eines Defektes heiß. Das billige Gerät war weder feuerresistent noch für den Betrieb in der Bahn.geeignet.


2. Der Kunststoff
Die Führerkabinen der Bahn wurden aus rein optischen Gründen statt aus brandhemmendem Aluminium aus leicht entflammbarem glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt, weil dieser besser formbar ist. Das führte zur rasanten Brandbeschleunigung.


3. Die Holzbretter
Weil die Zugführer trotz der Heizlüfter ständig über Zugluft klagten, wurde "russisch" Abhilfe geschaffen. Man legte einfach illegal Holzbretter über die Bodenplatte (im Foto: Analyse des Brandschutts). So konnten sich die Flammen zur Hydraulik durchfressen.


4. Die Evakuierung
Die Gutachten weisen nach, dass die Evakuierung verabsäumt wurde. Eine Betriebsvorschriflt verhinderte, dass die brennende Bahn rechtzeitig aus dem Tunnel gezogen wurde. Der letzte Funkspruch lautete: "Tut was, wir ersticken." Dann fiel der Strom aus.


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