salzburg.orf.at
9. Sept. 2002
Erster Prozesstag nach Sommerpause
Bergungs-Video wird nicht gezeigt
Im Prozess um die Brandkatastrophe von Kaprun wird das Gendarmerie-interne Video über die Leichenbergungen nicht gezeigt. Das hat Richter Manfred Seiss entschieden. Die Angehörigen der Opfer sind empört.
Angehörige sind verärgert
Die rund zehn Angehörigen der Opfer verließen nach der Entscheidung, den Film nicht zu zeigen, den Gerichtssaal demonstrativ. Sie hätten sich eigentlich ein Bild von jenem Ort machen wollen, an dem ihre Lieben gestorben seien, agrumentierten die Angehörigen. So hätten sie noch einmal Abschied nehmen können.
Doch Richter Manfred Seiss sieht das anders: der Gendarmerie-interne Film über die Leichenbergung im Kapruner Tunnel enthalte viele psychisch äußerst belastende Szenen und sei zur Wahrheitsfindung nicht notwendig, begründte der Richter.
Aus dem Zeitplan geraten
Am ersten Verhandlungstag nach der Sommerpause ist der Kaprun-Prozess nun auch noch arg aus dem Zeitplan geraten.
Eigentlich sollte um 14.30 Uhr bereits der fünfte von sechs Zeugen vernommen werden, doch um diese Uhrzeit war erst der zweite an der Reihe.
Reaktionen:
die Leichenbergung im Kapruner Tunnel enthalte viele psychisch äußerst belastende Szenen
Richter und nicht Anwalt
Die Angehörigen
......die Angehörigen sind empört!?!?
Sie sollten sich schämen!
Erstaunlich und erschreckend
warum beleidigen?
Also was?
Unverständnis!
So ein Blödsinn!
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Salzburger Nachrichten
10. September 2002
Kaprun-Chefermittler Lang im Zeugenstand
SALZBURG (SN, APA). Mit der Befragung des Leiters der Gendarmerie-Kriminalabteilung, Oberstleutnant Franz Lang (im SN/Ratzer-Bild), der damals die Ermittlungen leitete, wurde am Dienstag im Salzburger Kolpinghaus der Kaprun-Prozess fortgesetzt. Lang ließ mit einer Neuigkeit aufhorchen. Die Echtheit jener eidesstattlichen Erklärung eines Majors der US-Armee, der behauptet, ein Team der US-Armee sei nach der Katastrophe im Stollen gewesen und hätte Aufnahmen gemacht, sei vom FBI (US-amerikanische Bundespolizei) in Frage gestellt. Beim genannten Gericht liege die Erklärung nämlich gar nicht auf.
Major Drew Stathis, der als Angehöriger einer Reisegruppe im November 2000 in Kaprun war, habe schon am Tag des Unglücks (11. November, Anm.) angeboten, bei den Ermittlungen zu helfen, weil auch Leute aus seiner Gruppe vermisst gewesen seien, schilderte Lang. Gemeinsam mit Salzburger Kriminalbeamten habe Stathis deshalb im Hotel DNA-Vergleichsmaterial der Vermissten Amerikaner geholt, etwa einen Haarkamm. Stathis habe auch Hilfe bei der Bergung im Tunnel angeboten, diese habe er, Lang, abgelehnt. Man habe dem Major aber Fotos gezeigt. Außerdem habe man Pathologen der US-Army bei der Identifizierung der Leichen zur Unterstützung eingesetzt, sagte Lang.
Stathis behauptete jedenfalls später in einer eidesstattlichen Erklärung, dass kurz nach dem Feuerinferno ein Team der US-Armee im Tunnel gewesen sei und Aufnahmen gemacht habe. Darauf stützt sich auch die Behauptung des US-Anwaltes Ed Fagan (er kämpft in den USA um Schadenersatz für die Hinterbliebenen), Beweismaterial sei beiseite geschafft worden. Im Auftrag des Gerichts hat Lang über das FBI Ermittlungen angestellt, weil die Gegenzeichnung, ein Siegel, auf der Erklärung fehlte.
Am 6. September 2002 habe er telefonisch erfahren, dass die Erklärung beim genannten Gericht gar nicht vorliege, schilderte Lang heute im Zeugenstand. Ob diese nun echt oder eine Fälschung sei, wollte ein Verteidiger wissen. "Für mich ist es nicht vorstellbar, dass ein US-Team Aufnahmen gemacht hat." Und Lang weiter: "Eines muss ich festhalten: In den Tunnel ist weder Drew Stathis noch sonst einer seiner Leute gekommen."
Mehrmals musste der Leiter der Kriminalabteilung heute schildern, dass der Tunnel ab dem Zeitpunkt, ab dem er wieder begehbar gewesen ist, durch technische und später auch durch elektronische Sperren gesichert worden sei. Ohne schweren Atemschutz habe man am Nachmittag des 12. November 2000 wieder in den Stollen gehen können.
Lang ging auch auf die Fragen ein, weshalb nicht alle Unterlagen der Kriminalabteilung im Gerichtsakt aufgenommen worden seien. "Zu den Unterlagen gehörten auch meine Reiserechnungen", schilderte er. Auch sei alleine die Rampe der Bahn 300 Mal fotografiert worden. Die drei technisch besten Bilder seien schließlich in den Akt gekommen.
Für heftige Diskussionen sorgte gegen Mittag der Dokumentationsfilm, den Oberstleutnant Lang mitgebracht hatte. Privatbeteiligten-Vertreter Gabriel Lansky beantragte auf Wunsch aller Angehörigen, den Film zeigen, und zwar in ungekürzter Fassung, was zur Debatte zwischen den Privatbeteiligten-Vertretern und den Verteidigern der Beschuldigten führte.
Alle Verteidiger sowie Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat sprachen sich gegen die Vorführung aus, alle Angehörigen und Privatbeteiligten-Vertreter stimmten dafür. Richter Manfred Seiss lehnte schließlich die Vorführung ab.
Der Film trage zur Wahrheitsfindung nach dem Unfall bei, damit könnten Rückschlüsse auf die Unfall-Ursache gezogen werden, betonte Rechtsanwalt Lansky. Es handle sich dabei um die einzige unmittelbare Dokumentation nach der Katastrophe.
"Viele von uns sind extra wegen der Filmvorführung heute gekommen", beschwerte sich eine der zwölf anwesenden Angehörigen in einer Verhandlungspause, "die hätten uns halt gleich nach dem Unglück in den Stollen lassen sollen!"
Für die Verteidiger bringe der Film aber kein erkennbares Beweisthema, entgegnete Rechtsanwalt Klaus Perner nach Fortführung der Verhandlung. Nur die Sachverständigen könnten mit den Bildern etwas anfangen. Den nachdrücklichen Wunsch der Privatbeteiligten-Vertreter kommentierte Verteidiger Wilfried Haslauer mit den Worten: "Die Vorführung soll eine Art Demütigung für die Beschuldigten darstellen!"
Die Staatsanwältin lehnte daraufhin den Antrag der Privatbeteiligten-Vertreter ab. Der Film sei zur Dokumentation der Rettungs- und Bergemaßnahmen gedreht worden. Sie habe vor Prozess-Beginn aus Gründen der Pietät eine gewisse Linie verfolgt und werde davon nicht abweichen. Die Angehörigen hätten allerdings Einsicht in das Fotomaterial und das Obduktions-Gutachten ihrer Verstorbenen nehmen können.
Der Sachverständige Klaus Hellmich erklärte wie auch die anderen Sachverständigen, dass eine Vorführung des Videos zur Beweisfindung nicht notwendig sei. Er werde den Film aber am Abend nochmals ansehen. Sollte er noch Neuigkeiten enthalten, werde er das Gericht informieren. Das Video zeige keine Detaildarstellungen, sondern nur Übersichtsaufnahmen. Zu sehen seien Polizeiarbeiten am Freitag nach der Katastrophe, die Bergung eines Toten, vor allem aber die Arbeit bei der Obduktion der Leichen.
Während Seiss verkündete, dass der Film nicht gezeigt werde, zogen alle anwesenden Angehörigen schweigend aus dem Verhandlungssaal.
Beim Brand der Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn in Kaprun am 11. November 2000 sind 155 Menschen getötet worden. Es war das Unglück mit der größten Zahl an Todesopfern in Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. 16 Menschen müssen sich deshalb seit 18. Juni 2002 vor Gericht verantworten. 13 Beschuldigten wirft die Staatsanwaltschaft das "Vergehen der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst" vor, den drei Übrigen das Vergehen der "fahrlässigen Gemeingefährdung". Der Strafrahmen beträgt sechs Monate bis fünf Jahre.
© SN.